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Mit Ausnahme der 10-18 Jahre alten Jungen war der Normbedarf der über 6 Jahre
alten Bevölkerung durch die offiziellen Rationen demnach zu 40-50% gedeckt.
Dabei handelte es sich um einen Zeitraum, in den die Mehrheit der schlechtesten
Versorgungsmonate der ganzen Besatzungszeit fielen, 41 und nur um die Normalver
braucher. Der Durchschnitt der Bedarfsdeckung durch die offiziellen Rationen ist
also insgesamt höher als diese Mindestwerte anzusetzen.
Bezieht man nun ein, daß diese Bedarfsdeckung an den ernährungswissenschaftli
chen Normsätzen und nicht am Existenzminimum gemessen ist und daß zweitens
auch das normale Existenzminimum, wie gezeigt, effektiv nicht gedeckt wurde und
seinerseits im Verlauf der Hungerjahre ernährungsphysiologisch sank, so erscheint
die Deckung der nach dem Krieg tatsächlich erhaltenen Nahrung durch das offiziel
le Rationierungssystem wesentlich höher, als es Schwarzmarktschätzungen von bis
zu 50 % vermuten lassen. Es hat angesichts der geschilderten Bedeutung der indivi
duellen Situationen zweifellos Fälle gegeben, in denen große Lebensmittelmengen
auf parallelen Wegen aufgetrieben wurden. Daß breitere Teile der Bevölkerung auf
den parallelen Märkten durchschnittlich 800-1000 Kalorien am Tag erwarben, er
scheint unter Einbeziehung aller Faktoren jedoch so gut wie ausgeschlossen, und
daß es 400-500 Kalorien waren, sehr unwahrscheinlich.
Nimmt man die Deckung des Normbedarfs durch das offizielle Rationierungssystem
- mit den genannten Mindestwerten - vorsichtig mit 40-50 % an und demgegenüber
die tatsächliche Unterversorgung gegenüber dem Normbedarf mit etwa 30-40 %, so
verbleibt als durch parallele Versorgungsmöglichkeiten tatsächlich gedeckter Ernäh
rungsanteil ein Volumen von rund 10-30 %. So grob die Annahmen auch sind, die für
ein solches Kalkül zugrundegelegt werden können, so erscheinen sie im Vergleich
mit den vorliegenden qualitativen Informationen doch als im Trend richtig.
Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der große Anteil von Teil- und Vollselbstversor
gern von den parallelen Märkten vermutlich kaum für die eigene Ernährung profi
tierte, sondern eher umgekehrt überschüssige Nahrungsmittel dort zur Verbesserung
der eigenen Versorgung mit Gebrauchsgütern einsetzte. Die Nahrungsmittelversor
gung durch die parallelen Märkte konzentrierte sich also auf einen Teil der Bevölke
rung. Das hier vermutete Höchstvolumen von 30 % der tatsächlichen Ernährung
erscheint realistisch für die Zeit 1945/46, als die Störungen im Versorgungssystem
besonders groß waren und andererseits noch eine entsprechende Reichsmark- und
Tauschwarenliquidität bestand. Mit fortdauernder Unterernährung sank die als Be
Bericht des praktischen Arztes Dr. Häßler, 1. 12. 1946, mit detailliertem Material, in StA FR
A 7 (1956/5)1910.
Zahlreiche Berichte, unter denen allerdings keine zusammenfassende Übersicht überliefert
ist, ebd.
Vgl. z. B. die systematische Erhebung über die in der Freiburger Kinderklinik in den
Nachkriegsjahren behandelten Fälle bei Mayerle-Müntinga, Wohnung und soziale Lage.
Vergleichsdaten (ohne Einbeziehung der französischen Zone) z. B. bei Kröger u. Reuter,
Stand der Tuberkulose. Für Schleswig-Holstein: Stüber, S. 293 ff. Zur methodischen Pro
blematik 1950 Freudenberg, Kritische Statistik der Tuberkulose.
Vgl. die Tabellen bei Rothenberger, Hungerjahre, S. 242 ff.