Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

117 
Mit Ausnahme der 10-18 Jahre alten Jungen war der Normbedarf der über 6 Jahre 
alten Bevölkerung durch die offiziellen Rationen demnach zu 40-50% gedeckt. 
Dabei handelte es sich um einen Zeitraum, in den die Mehrheit der schlechtesten 
Versorgungsmonate der ganzen Besatzungszeit fielen, 41 und nur um die Normalver 
braucher. Der Durchschnitt der Bedarfsdeckung durch die offiziellen Rationen ist 
also insgesamt höher als diese Mindestwerte anzusetzen. 
Bezieht man nun ein, daß diese Bedarfsdeckung an den ernährungswissenschaftli 
chen Normsätzen und nicht am Existenzminimum gemessen ist und daß zweitens 
auch das normale Existenzminimum, wie gezeigt, effektiv nicht gedeckt wurde und 
seinerseits im Verlauf der Hungerjahre ernährungsphysiologisch sank, so erscheint 
die Deckung der nach dem Krieg tatsächlich erhaltenen Nahrung durch das offiziel 
le Rationierungssystem wesentlich höher, als es Schwarzmarktschätzungen von bis 
zu 50 % vermuten lassen. Es hat angesichts der geschilderten Bedeutung der indivi 
duellen Situationen zweifellos Fälle gegeben, in denen große Lebensmittelmengen 
auf parallelen Wegen aufgetrieben wurden. Daß breitere Teile der Bevölkerung auf 
den parallelen Märkten durchschnittlich 800-1000 Kalorien am Tag erwarben, er 
scheint unter Einbeziehung aller Faktoren jedoch so gut wie ausgeschlossen, und 
daß es 400-500 Kalorien waren, sehr unwahrscheinlich. 
Nimmt man die Deckung des Normbedarfs durch das offizielle Rationierungssystem 
- mit den genannten Mindestwerten - vorsichtig mit 40-50 % an und demgegenüber 
die tatsächliche Unterversorgung gegenüber dem Normbedarf mit etwa 30-40 %, so 
verbleibt als durch parallele Versorgungsmöglichkeiten tatsächlich gedeckter Ernäh 
rungsanteil ein Volumen von rund 10-30 %. So grob die Annahmen auch sind, die für 
ein solches Kalkül zugrundegelegt werden können, so erscheinen sie im Vergleich 
mit den vorliegenden qualitativen Informationen doch als im Trend richtig. 
Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der große Anteil von Teil- und Vollselbstversor 
gern von den parallelen Märkten vermutlich kaum für die eigene Ernährung profi 
tierte, sondern eher umgekehrt überschüssige Nahrungsmittel dort zur Verbesserung 
der eigenen Versorgung mit Gebrauchsgütern einsetzte. Die Nahrungsmittelversor 
gung durch die parallelen Märkte konzentrierte sich also auf einen Teil der Bevölke 
rung. Das hier vermutete Höchstvolumen von 30 % der tatsächlichen Ernährung 
erscheint realistisch für die Zeit 1945/46, als die Störungen im Versorgungssystem 
besonders groß waren und andererseits noch eine entsprechende Reichsmark- und 
Tauschwarenliquidität bestand. Mit fortdauernder Unterernährung sank die als Be 
Bericht des praktischen Arztes Dr. Häßler, 1. 12. 1946, mit detailliertem Material, in StA FR 
A 7 (1956/5)1910. 
Zahlreiche Berichte, unter denen allerdings keine zusammenfassende Übersicht überliefert 
ist, ebd. 
Vgl. z. B. die systematische Erhebung über die in der Freiburger Kinderklinik in den 
Nachkriegsjahren behandelten Fälle bei Mayerle-Müntinga, Wohnung und soziale Lage. 
Vergleichsdaten (ohne Einbeziehung der französischen Zone) z. B. bei Kröger u. Reuter, 
Stand der Tuberkulose. Für Schleswig-Holstein: Stüber, S. 293 ff. Zur methodischen Pro 
blematik 1950 Freudenberg, Kritische Statistik der Tuberkulose. 
Vgl. die Tabellen bei Rothenberger, Hungerjahre, S. 242 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.