Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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die Militärregierungsstatistiken über den Absentismus und über sinkende Produkti 
vität in der gewerblichen Wirtschaft als auch die vielfachen Beschreibungen des 
Arbeitsalltags in Fabriken, in denen oft nur zwei bis drei Stunden des Arbeitstags 
wirklich gearbeitet und die übrige Zeit mehr oder weniger vertrödelt wurde, deuten 
darauf hin, daß diese Überlegungen in der Grundtendenz auch für die Situation in 
der französischen Zone zutreffen. 
Auch für die Gesundheitssituation in der französischen Zone liegen Daten vor. 
Wieder ist einschränkend vorauszuschicken, daß Gewichtsmessungen unter Einbe 
ziehung einer großen Zahl physiologisch und im Umfeld begründeter Faktoren 
interpretiert werden müssen/ 3 die Globalzahlen also nur als Trend verstanden wer 
den können. Auch globalere Übersichten zeigen im übrigen bereits das Ausmaß der 
Unterschiede in der individuellen und regionalen Versorgungssituation, wie sie 
schon innerhalb des offiziellen Rationierungssystems begründet waren. 
Noch im Frühjahr 1946 ergab eine Untersuchung von 6 739 Kindern in Trier zwar 
bei fast vier Fünfteln der Kinder einen schlechteren oder schlechten Gesundheitszu 
stand, doch nur 6,7% waren unterernährt. 34 Hier hat zweifellos noch die bessere 
Versorgungslage bis 1945 nachgewirkt. Denn eine Untersuchung von 1 400 Schülern 
einer zur Mehrheit aus Landgemeinden besuchten Berufsschule in der Pfalz ergab 
im September 1947 bei 87% der Schüler Untergewicht, darunter bei 29% mehr als 
15% Defizit; 35 ähnlich meldeten Stadt- und Landkreis Horb im gleichen Monat ein 
generelles Gewichtsdefizit bei dreizehnjährigen Kindern. 36 
Für Baden liegen methodisch hiermit exakt vergleichbare Daten nicht vor, doch 
waren die Verhältnisse dort schon 1946 insgesamt offenbar schlechter. Gewichts 
und Wachstumsmessungen bei Freiburger Schulkindern ergaben, von gruppenspezi 
fischen Schwankungen abgesehen, daß Mangelerscheinungen zwar seit den Kriegs 
jahren zu verzeichnen waren, 1946 jedoch eine deutliche allgemeine Verschärfung 
erfolgte. 37 Ein Villinger Arzt wertete Ende 1946 während eines Monats die in seiner 
Praxis angefallenen Daten von 585 Patienten (3% der Villinger Bevölkerung) syste 
matisch aus. Bei 68 % der Untersuchten konstatierte er ein mittleres Untergewicht 
von 17%, darunter bei Männern stärker als bei Frauen. 38% der Patienten hatten ein 
Untergewicht von mehr als 20%, 7% von mehr als 30%. Bei Schülern bis 15 Jahre 
hatten 89% Untergewicht, davon 45% mehr als 20% Defizit. Zwar handelte es sich 
um eine Untersuchungsgruppe von Kranken, aber andererseits neigte die Bevölke 
rung der Region von ihrer Konstitution her eher zu einem Übergewicht gegenüber 
der Norm, so daß die Fehlerquoten sich zumindest ausgleichen dürften. Überge 
wicht in Höhe von durchschnittlich 15% hatten allerdings auch in dieser Praxis noch * S. 
Ausführlich dazu Arnold, Hunger, sowie Kraut u. Bramsel. 
Zahlen bei Rothenberger, Hungerjahre, S. 120. 
Arnold, Hunger, S. 225 ff., mit umfangreichem Detailmaterial. 
Monatsbericht der Militärregierung Württemberg-Hohenzollern für Sept. 1946; MdAE Y 
(1944-1949) 437. 
Ruetz, bes. S. 7 ff. Vergleichszahlen zu Hamburg und Schleswig-Holstein bei Stüber, 
S. 283 ff.
	        
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