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die Militärregierungsstatistiken über den Absentismus und über sinkende Produkti
vität in der gewerblichen Wirtschaft als auch die vielfachen Beschreibungen des
Arbeitsalltags in Fabriken, in denen oft nur zwei bis drei Stunden des Arbeitstags
wirklich gearbeitet und die übrige Zeit mehr oder weniger vertrödelt wurde, deuten
darauf hin, daß diese Überlegungen in der Grundtendenz auch für die Situation in
der französischen Zone zutreffen.
Auch für die Gesundheitssituation in der französischen Zone liegen Daten vor.
Wieder ist einschränkend vorauszuschicken, daß Gewichtsmessungen unter Einbe
ziehung einer großen Zahl physiologisch und im Umfeld begründeter Faktoren
interpretiert werden müssen/ 3 die Globalzahlen also nur als Trend verstanden wer
den können. Auch globalere Übersichten zeigen im übrigen bereits das Ausmaß der
Unterschiede in der individuellen und regionalen Versorgungssituation, wie sie
schon innerhalb des offiziellen Rationierungssystems begründet waren.
Noch im Frühjahr 1946 ergab eine Untersuchung von 6 739 Kindern in Trier zwar
bei fast vier Fünfteln der Kinder einen schlechteren oder schlechten Gesundheitszu
stand, doch nur 6,7% waren unterernährt. 34 Hier hat zweifellos noch die bessere
Versorgungslage bis 1945 nachgewirkt. Denn eine Untersuchung von 1 400 Schülern
einer zur Mehrheit aus Landgemeinden besuchten Berufsschule in der Pfalz ergab
im September 1947 bei 87% der Schüler Untergewicht, darunter bei 29% mehr als
15% Defizit; 35 ähnlich meldeten Stadt- und Landkreis Horb im gleichen Monat ein
generelles Gewichtsdefizit bei dreizehnjährigen Kindern. 36
Für Baden liegen methodisch hiermit exakt vergleichbare Daten nicht vor, doch
waren die Verhältnisse dort schon 1946 insgesamt offenbar schlechter. Gewichts
und Wachstumsmessungen bei Freiburger Schulkindern ergaben, von gruppenspezi
fischen Schwankungen abgesehen, daß Mangelerscheinungen zwar seit den Kriegs
jahren zu verzeichnen waren, 1946 jedoch eine deutliche allgemeine Verschärfung
erfolgte. 37 Ein Villinger Arzt wertete Ende 1946 während eines Monats die in seiner
Praxis angefallenen Daten von 585 Patienten (3% der Villinger Bevölkerung) syste
matisch aus. Bei 68 % der Untersuchten konstatierte er ein mittleres Untergewicht
von 17%, darunter bei Männern stärker als bei Frauen. 38% der Patienten hatten ein
Untergewicht von mehr als 20%, 7% von mehr als 30%. Bei Schülern bis 15 Jahre
hatten 89% Untergewicht, davon 45% mehr als 20% Defizit. Zwar handelte es sich
um eine Untersuchungsgruppe von Kranken, aber andererseits neigte die Bevölke
rung der Region von ihrer Konstitution her eher zu einem Übergewicht gegenüber
der Norm, so daß die Fehlerquoten sich zumindest ausgleichen dürften. Überge
wicht in Höhe von durchschnittlich 15% hatten allerdings auch in dieser Praxis noch * S.
Ausführlich dazu Arnold, Hunger, sowie Kraut u. Bramsel.
Zahlen bei Rothenberger, Hungerjahre, S. 120.
Arnold, Hunger, S. 225 ff., mit umfangreichem Detailmaterial.
Monatsbericht der Militärregierung Württemberg-Hohenzollern für Sept. 1946; MdAE Y
(1944-1949) 437.
Ruetz, bes. S. 7 ff. Vergleichszahlen zu Hamburg und Schleswig-Holstein bei Stüber,
S. 283 ff.