73
ja das weltlich-sündige Treiben aufgeben. So geben der Papst
und die ihm 'untergeordneten Gewalten ein seltsames Vor¬
bild, sie streben in vbermüte (IX12).
Bei der Schilderung der weltlichen Stände und ihres sün¬
digen Lebens erhält, wie gesagt, der Kaiser direkt keinen Ta¬
del; an einigen Stellen könnte er allerdings, ohne daß der
Dichter ihn besonders nennt, mitgemeint sein. Den Fürsten,
großen Herren, Gewaltigen und Reichen aber wird in der
Hauptsache vorgeworfen, daß sie der vngerechtigkeit nit we-
ren; sie sind überhaupt in ihrer exponierten Stellung die Ur¬
heber aller bösen Zustände; sie streben wie die geistlichen
Gewalten in vbermüte (IX12); zw sünd send sy verwylget
(I10). Der Dichter faßt (M10) zusammen:
„Also halten sich yetzvnd die geistlichen
die gwaltig vnd dy reichen,
kein sünd strafen sie nit
sie haben selbs den sit.“
Der übrige Adel dagegen kommt ziemlich gut bei dieser'
großen Anklage, aus der zum großen Teil ja J. Schs. 'Werk
überhaupt nur besteht, weg. An Stellen wie HI2: „mit kriegen
vnd mit reysen“ oder I'H9: „wer eynem nimpt sein leben“ (ira)
wäre die beste Gelegenheit gewesen, Faustrecht, Raubritter¬
tum usw. zu bekämpfen. Es wird nicht getan. Der Adel ist
im Gegenteil für die Kunst und im feinen Benehmen, in der
Kleideimode usw. vorbildlich. Nur einmal heißt es an einer
Steile, wo Frau 'Ehre sich darüber beklagt, daß alle von
ihr abgefallen sind:
Der gaistlich stat acht mein nit ser
So haitt der ad'el schand für Er14)
Die gemain hatt ires hertzen ger
Von mir ge rieht (VI5).
14) Vielleicht ist diese Stelle auch mit Bezug auf die Türken¬
gefahr zu erklären, die a. 1460 (nach dem Falle Konstantinopels)
„bedrohlich anwuchs, die es aber trotzdem nicht vermochte, daß ein
deutsches Heer gegen die Ungläubigen geführt wurde (trotz anfäng¬
lich starker Kampfbegeisterung)“- Denn aus dieser Zeit stammt das
Gedicht nr. VI ja ungefähr (s. o.).