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„Theaterkunst ist eine Raumkunst — in erster Linie kommt
es darauf an, den Raum der Vorstellung und die Art seiner
Benutzung genau zu kennen"^, Die (Lrsüllungsmöglichkeiten,
die einer solchen Forderung gegenüberstehen, sind ziemlich
gering. Selbst wenn sich für eine Anzahl von Dramen der
Spielort heute noch feststellen läßt, wenn sogar der Raum in
annähernd unveränderter Form erhalten ist, so ist damit die
Beziehung zwischen diesem Raum und der Bühne noch lange
nicht eindeutig herzustellen. Wenn z. B. die Nürnberger
Marthakirche, deren früherer Bauzustand sich restlos feststellen
läßt, noch mehrere Hypothesen über Standort und Gestalt der
Meistersingerbühne ermöglichte^«, verdeutlicht das den Zu¬
stand einer Unsicherheit, die bei weniger gut erhaltenen und
erschließbaren Spielräumen eine einwandfreie Festlegung un¬
möglich macht. Man wird in einem solchen Fall nicht vom
Raum ausgehen können, sondern es muß versucht werden,
das Bild der Bühne zuerst allein aus dem Text zu gewinnen
und es dann erst in Beziehung zum Raum zu setzen.
Bei dem Versuch einer räumlichen Konstruktion aus dem
Text ist die Doppeldeutigkeit des theatralischen Raumbegrifses
zu berücksichtigen. Neben dem wirklich vorhandenen Raum,
in dem das Spiel vor sich geht, wird ein anderer Raum durch
das Spiel für den Zuschauer geschaffen. (Ls ist denkbar, daß
beides zusammenfällt — im mittelalterlichen Theater berührte
es sich immer sehr eng —, es ist ach er eb enso möglich
und besonders für die Renaissancebühne charakteristisch, daß
sehr verschiedene Raumrealitäten und Raumvorstellungen zu¬
sammengebracht werden. Damit verschiebt sich das Raumprob¬
lem in den Bereich der Illusion, des Zuschauererlebnisses, es
ist aus diesem Grund im letzten Sinn ebenfalls unlösbar und
nicht erschöpfend zu fassen.
3. Bild.
And ebenso ist auch die Heranziehung von Theaterbildern
ein nur bedingt brauchbares Hilfsmittel für die Rekonstruktion.
Schaltet man die erste Frage — wann kann man überhaupt
von einem Theaterbild im Gegensatz zur Dramenillustration
sprechen? — einmal ganz aus, und zieht nur solche Bilder
heran, die wie die Holzschnitte zu Raffers Spiel von der
unzweifelhaft im engsten Zusammenhang mit
135. Herrmann S. 6.
136. Zusammenfassend dargestellt von Holl, K., Die Meistersinger-
bühne von Hans Sachs. Zeitschr. s. dtsch. Philologie 51.
137. Reproduziert bei L a ch m a n n.