Full text: Augsburger Schultheater unter Sixt Birck

n. Das Theater der deutschen Renaissance 
1. Versuch einer Theorie 
Es soll eine Bühne rekonstruiert werden, Bühne in 
dem erweiterten Sinn, der Raum, Spiel, kurz alles umfaßt, 
was mit Ausnahme des Publikums zur Aufführung gehört. 
Damit wird Verzicht geleistet, die Aufführung, die Schaf¬ 
fung des theatralischen Erlebnisses selbst zu rekonstruieren, denn 
daran sind Bühne und Publikum gleich stark beteiligt. 
Theatralische Realität entsteht aus dem Zusammenwirken 
von Bühne und Publikum. Theater wird von aktiv und passiv 
wirkenden Kräften geschaffen, es kann nur dort entstehen, wo 
ein Publikmn der Bühne die Bereitschaft zur Illusion mit¬ 
bringt. Es wäre sinnlos und unmöglich, eine Aufführung aus 
Ueberresten wie Text, Raum oder Bild allein rekonstruieren 
zu wollen, ohne den Menschen zu berücksichtigen, vor dessen 
Auge und Ohr, vor dessen Seele diese Darstellung, dieser Text 
in diesem Raum, zur theatralischen Realität wurde. War 
er imstande, aus Andeutungen, aus theatralischen Abbrevia¬ 
turen, das Ganze zu erkennen, oder mußte die Bühne seiner 
Vorstellungskraft mit allen Mitteln einer naturalistischen Dar¬ 
stellung nachhelfen? Hatte er den unbedingten Willen zur 
Illusion, oder stellte er dem Zustandekommen einer theatra¬ 
lischen Realität Widerstand entgegen? Auch für eine nur 
kurz zurückliegende Zeit sind diese Fragen nicht mit letzter 
Sicherheit zu beantworten, zumal nicht einmal die erste Frage 
entschieden ist, ob die stilisierte oder die naturalistische Spiel¬ 
form als die ursprünglichere, die primitivere zu bezeichnen 
ist. Erlebt der unbefangene Zuschauer^? theatralisch inten¬ 
siver, wenn angedeutetes Bühnengeschehen ihn zu stärkerer 
ergänzender Mitarbeit zwingt, oder wenn naturalistisches Bild 
und Spiel auf der Bühne einer realen Welt bis zur Nach¬ 
ahmung nahekommt? Die Entscheidung in dieser Frage, bei 
der die Faktoren Tendenz und Tradition wesentlich zu berück¬ 
sichtigen sind, ist kaum für die heutige Zeit endgültig zu 
127. Klette, W., Ueber Theorien und Probleme der Bühnen- 
illusion. Diss. Erlangen 1911, berücksichtigt nur die Wahrnehmungen des 
ästhetisch geschulten Betrachters. — Kjerbüll-Petersen, L., Die 
Schauspielkunst. Berlin, Leipzig 1925, läßt die historische Wertung ver¬ 
missen.
	        
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