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über die Länge und wissenschaftliche Busführlichkeit hinwegsehen.
In andern Liedern macht sick der Drang zur epischen Breite
störend bemerkbar (Nr. 83 und besonders 105). Vas „Teuätscke
Patrem“ (Xtr. 103), das dem Lutherschen Liede (Br. 23) nach¬
gebildet ist, läßt den Unterschied der beiden Dichter deutlich er¬
kennen: während Luther jeden Brtikel in einer Strophe erledigt,
verwendet Sachs auf jede einzelne Bestimmung eine volle Strophe
und fügt außerdem nach moralisierende Ermahnungen hinzu. Buch
in der Verarbeitung der zehn Gebote (Hans Wachsens Lied Ur. 102,
Luthers zwei Lieder Ur. 22 und 26) steht Sachsens didaktische
Weitschweifigkeit in unerfreulichem Gegensatz zu Luthers bündiger
Sachlichkeit,' wo Luther 20, resp. 48 Zeilen gebraucht und seine
Zusätze aus positive Ermahnungen beschränkt, finden wir in Hans
Sachsens zehn Strophen immer zwei Drittel des Baumes der
Moral und der Betrachtung gewidmet.
Hans Sachsens Bearbeitungen der Psalmen')nehmen sich trotz
wörtlichstem Bnschluß an die Vorlage fast wie Parodien aus.
Das poetische ist abgestreift, der stoffliche Gehalt in gereimte
Prosa verwandelt, vor allem: die Unmöglichkeit, die stilistischen
Eigentümlichkeiten der hebräischen Poesie wörtlich ins Deutsche
zu übertragen, ist dem Dichter nicht klar geworden. Buch Luther
bält sich zumeist ziemlich eng an den biblischen Text, aber bei
ihm ist die Strophe stets logisch gegliedert: der Bbgesang enthält
eine Begründung, Folgerung oder Zusammenfassung (Ur. 5 „Bus
tiefer Bot"); oder das Original wird prägnanter gestaltet und
der Strophensorm angepaßt (Ur. 27, Bearbeitung des 124. Psalms).
Zudem wird die Singbarkeit des Liedes gewahrt, und die Strophe
überschreitet fast nie die Länge von neun Versen, von all
diesen Vorzügen des starken, urwüchsigen dichterischen Talents,
das sich mit einem sicheren, wenn auch unreflektierten künstle¬
rischen Taktgefühl verband, ist in Hans Sachsens Psalmliedern
nichts zu finden. Wo er vom Original. abweicht, ist es zum
Schlimmeren: seine Fassung des 15. Psalms (Gott. Hs. Bl. 87' f.)
verwässert die Vorlage auf etwa das Vierfache des Umfangs,
ohne einen neuen Gedanken hinzuzufügen; von einer Gliederung
des Stoffes nach strophischen Gesichtspunkten ist überhaupt nicht
die Bede.
>) ebenda Nr. 88-101.