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Zweites Kapitel.
Das 16. Jahrhundert außer Hans Lachs.
Die Reformation hat den Meistergesang von Grund aus
umgestaltet. Indem er sich ganz in den Dienst der großen Zache
stellte, verzichtete er daraus, als Selbstzweck zu gelten. Die Kirche,
die den Sängern des 15. Jahrhunderts eine conäitio sine qua non
gewesen war, wird jetzt zur causa efficiens der Sangeskunst.
Die Meisterdichtung erniedrigt sich freiwillig zur Magd der neuen
Theologie und gibt damit alle die Vorteile eines befreiten Indi¬
vidualismus auf, die Hans Holz für ihn erstritten hatte.
Nicht minder beträchtlich war die stoffliche Einbuße durch
das verschwinden der Marienlyrik, für die der Psalter mit seiner
fremdartigen Diktion umso weniger Ersatz bot, als hier wie über¬
all eine möglichst wörtliche Verwendung der Lutherschen Ueber-
setzung Vorschrift war. Diese Busschaltung jeder freieren Bearbei-
tung einer Vorlage zusammen mit der Prinzipienlosigkeit der
Dichter in der Ñuswahl ihrer Stoffe, die man mit gleicher Be¬
reitwilligkeit den erzählenden wie den lyrischen Partien beider
Testamente, den jüdischen Propheten wie den Spruchsammlungen
und Paulinischen Episteln entnahm, ferner die fast durchgehende
Inkongruenz von Thema und Meise, die häufig Ursache wurde,
daß die Schlußmoral die größere Hälfte des Gedichts einnahm,
bloß weil ein zu umfangreiches Gesätz gewählt worden war, -
all dies dürfte bereits zur Genüge andeuten, daß der künstlerische
wert der religiösen Meistergesänge des 16. Jahrhunderts hinter dem
des fünfzehnten zurückbleibt,- und auch die zahlreichen historischen,
didaktischen und schwankhaften Gedichte, die man anfertigte, haben
das künstlerische Durchschnittsnioeau nur wenig gehoben.
Eine Übergangserscheinung besonders bezeichnender Ñrt stellt
Jörg Grasfi) (ca. 1520) dar. Ñus dem Landsknecht und volk¬
lieddichter, der mit sicherer Beobachtung und zuweilen ergreifen¬
der realistischer Kraft das Leben des Söldners und der Soldaten¬
dirne, die Macht des Hellers und das Schicksal der durch Trägheit
y Gskar Schade, Graff u. h. Mitzstat, weim. Iahrb. 4. Bd. (1856)
5. 44 ff.; w ackernagel Bd. 5 Nr. 447-451. 957; Uh land, Volkslieder
Nr. 189.