Full text: Zur Entwicklung und Bedeutung des deutschen Meistergesangs im 15. und 16. Jahrhundert

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wurden die besten Leistungen dort erzielt, wo der Dichter persön¬ 
lich am meisten an seinem Stoff interessiert war, und wo er, was 
grade bei diesen subjektiven Gedichten am häufigsten der Fall 
war, sich einer einfachen Form bediente. 
Der Meistersinger des l5. Jahrhunderts, der alle seine Zeit¬ 
genossen und Vorgänger bei weitem überragt, ist Hans Folz 
(um 1460). 3n ihm tritt uns zum ersten Mal in der Geschichte 
des Meistergesangs eine überragende und durch sich selbst inter¬ 
essierende Gestalt entgegen; hier ist das Talent zur dichterischen 
Persönlichkeit, der Bohemien zum echten Künstler gesteigert. Nicht 
als ob Folz in der Hauptmasse seiner Gedichte sich wesentlich von 
seinen Sangesgenossen unterschiede: im Gegenteil, bei ihm tritt 
die religiöse Lyrik viel einseitiger hervor als etwa bei Muskatblut 
oder Beheim,- der sozial-didaktische Zug, der die Poesie dieser beiden 
charakterisiert, mangelt ihm vollständig, und die Art seiner scho- 
lastischen Dichtung unterscheidet sich zwar in Tinzelzügen vorteil¬ 
haft von den Erzeugnissen anderer Dichter, sie zeigt aber doch 
zugleich die Absurdität dieses ganzen Stoffgebietes mit seltner 
Vollständigkeit und erbarmungsloser Schärfe auf. Die Bedeutung 
von Folzens Persönlichkeit liegt weder auf dem Gebiete des Stoff¬ 
lichen noch des Formalen, sie liegt im Grundsätzlichen, in der 
Vertiefung der Fragestellung, wo es sich um das Wesen des 
Meistergesangs handelt. Die entscheidende Tat ist die Stellung 
die Folz gegenüber den Meistern der Mainzer Schule einnahm, 
als Nestler aus Speyer, der verdienstvolle Schreiber der Kolmarer 
Handschrift, es wagte, im Widerspruch zu der bisherigen Ge¬ 
pflogenheit, die streng an der formellen Nachahmung der „zwölf 
Meister" festhielt, in einem selbsterfundenen, dem „unbekannten" 
Tone zu dichten. Falz trat mit Entschiedenheit aus Nestlers 
Seite und beide verließen im Verlaufe des Kampfes die rhei¬ 
nische Hochburg der Meisterkunst. Nestler ging nach Ulm, Folz 
nach Nürnberg, und von jetzt ab wird Nürnberg zur wichtig¬ 
sten pflegestätte des Meistergesangs. Die Kampflieder, die Folz 
gegen die Mainzer Schule schrieb, überragen an prinzipieller 
Bedeutung alles, was der Meistergesang des 16. Jahrhunderts 
hervorgebracht hat. Lag bei Beheim stets der Künstler mit dem 
Menschen im Streit, so steht uns in Folz eine kraftvolle männ¬ 
liche Dichterpersönlichkeit gegenüber, welche ganz auf die Kunst
	        
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