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nähme*), unterrichten uns über die Aufnahme, die jene bei dem
ehrbaren Durschnittsbürger fanden, und ersetzen uns damit die
Kenntnisse, die wir für die jüngere Vergangenheit der — natürlich
weit ausgiebigeren — Tagespresse verdanken. —
von nicht zu unterschätzender Bedeutung war der sittlichende
Einfluß der Meisterkunst auf weite Meise des deutschen Volks.
Zu einer Zeit, da ein durch keinerlei theoretische Weltansicht ge¬
rechtfertigtes, durch keinerlei ästhetische Fonnung verschöntes, durch
keine geniale Herausforderung des Schicksals veredeltes physisches
Genießen nahezu alle Stände vom Kaiser und Katsherrn bis
zum Bauern und Soldaten ergriffen hatte, haben die deutschen
Handwerksmeister, nicht sowohl durch ihre Verskünste wie durch
persönliche autoritative Einwirkung, ihre Gesellen und Lehrlinge
veranlaßt, die abendlichen Mußestunden nicht in der Schenke,
der würselstube oder dem Frauenhause, sondern bei ihrem Meister
zuzubringen und von ihm die Singekunst zu erlernen. Sie haben
das Interesse der heranwachsenden Handwerker-Generation auf
eine ernste, ja heilige Sache gerichtet und ihren Ehrgeiz ange¬
stachelt, auch auf geistigem Gebiete die würde des Meisters zu
erlangen. In seiner Vereinigung von Gemüt, würdigem Ernst
und freundlicher Beschränktheit stellt ihr Bestreben einen spezifisch
deutschen Tharakterzug dar, dessen späteres verschwinden einen
unzweifelhaften Verlust für die deutsche Volkskultur bedeutet).
Die Frage, ob wir es bei einem Liede mit dem Erzeugnis
eines Meistersingers oder eines nichtzünftigen Dichters zu tun
haben, wird streng genommen allein durch die Feststellung be¬
antwortet, ob der Verfasser nachweislich eine Singschule besucht
habe^). Um aber die Grenzen der Betracktung nicht zu eng zu
ziehn, um vor allem nicht alle anonymen Lieder beiseite lassen
zu müssen, dürfte es das Beste sein, überall dort meistersingeri-
schen Ursprung anzunehmen, wo ein Lied in meistersingerischer
Form, also in einem Meistertone vorliegt. Denn die Form ist in
erster Linie Kriterium für den Meistergesang; sie hat überall,
wo sie von nichtzünftigen Dichtern verwendet wurde, deren Er¬
zeugnisse im Zinne des Meistergesanges beeinflußt.
y Vgl. Nagel a. a. D. 5. 26 f.
2) S, a. Goed eke-T itt mann, Liederbuch aus dem 16. Iht., Lpz.
1881, S. 322 f.
s) hampe, Spruchsprecher etc. S. 26f.