57.
Ziebenzehenter Lrief.
S. den 2. Jun. 1793.
Ach, mein armes Vaterland, was wird noch aus dir werden!
Verzeihen Sie, mein Bester, diesen Ausruf der Wehmuth Ihrem
Freund, der sich in dem Augenblick mehr in der Stimmung be¬
findet Klaglieder zu dichten als unsere Zeitgeschichte zu schreiben;
doch ist diese nicht, im Ganzen genommen, eine Jeremiade? Ich
komme eben von dem Grab eines meiner Freunde, ach! eines
Menschenfreundes, eines Rechtschaffenen zurück, der als ein Opfer
seiner Pfiichten, des Grams über das Unglück seines Vaterlandes,
seiner Freunde und Nebenmenschen und leider als ein Opfer
unserer Narrheit fiel. Es war der Hofrath und Medicina Doctor
Rodenberger, ein Mann von dem edelsten Charakter; unermüdet
in der Erfüllung seiner Pflichten als Arzt, schwächte er seine
Gesundheit. Auch er wurde vorigen Winter bei unserm Patrouillen¬
spiel nicht verschont. Bei der späten Rückkehr von einer Reise,
die er in der schlimmsten Witterung zu einem Kranken gemacht
hatte, fand er das Gebot die Nachtpatronille zu machen, welches
nach seiner Rückkunft nochmals wiederholt wurde. Nur dies be¬
wog den gekränkten Mann solches zu befolgen, und die ganze
Nacht, die abscheulichste des ganzen Winters, durch die Straßen
zu wandeln. Morgens mußte er einige Stunden weit zu einer
Kreisenden reisen, diesen Fatiguen erlag sein geschwächter Körper,
er wurde krank und bettlägerig. Die Unruhen des Kriegs ließen
die Arzneimittel unwirksam. Das Unglück seines Fürsten, seiner
Freunde, seiner Mitbürger beschleunigte seinen Tod. Sanft ruhe
deine Asche, Redlicher! Menschenfreund! Wann auch deine nächsten
Verwandten dich vergessen, wann auch der Reiche dich nicht ver¬
mißt, so wirst du doch im Andenken aller Redlichen leben, so wird
doch der durch dich gerettete Arme, dem du mit gleicher Bereit¬
willigkeit deine Kräfte, deine Gesundheit opfertest, den du durch
deine Kunst und oft durch dein Almosen rettetest, nie dein ver-