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XI. Schluß.
ansehen, als ob beide frei wären; das gebietet das schlichte
sittliche Erlebnis, in Form von „Reue“, „Verantwortungs¬
gefühl“ usw. Sogenannte sittliche Freiheit ist geradezu nichts
anderes als das schlichte Haben dieser phänomenologischen
Tatbestände selbst. Aber die theoretische Philosophie muß
diese „als ob“-Freiheit als „Freiheit“ im eigentlichen Sinne
streichen, denn bewußt Haben ist eben kein Werden; und
sie muß, wie gesagt, die Frage nach der Freiheit der meta¬
physischen Grundlage des bewußten Habens offen lassen.
Das aber heißt, an die Stelle des Überzeugtseins von
dem Vermögen zu eignem sittlichen Ich-tun den Glauben
setzen an das sittliche Wesen der eigenen Seele, welche „Ich“
mir nicht gegeben habe, sondern welche ich als verankert
erkenne im geheimnisvollen AH. Mit diesem Glauben aber
darf sich das Vertrauen verbinden auf das, trotz allem, gute
Wesen meiner Seele. Das alles bedeutet — Ergebenheit
und Demut.
Aber hebt unsere Lehre vom rein schauenden Ich-haben
nicht alle Möglichkeit einer sittlichen Arbeit an sich selbst,
ja, hebt sie nicht die Möglichkeit aller Erziehung auf?
Wir meinen, daß sie das ganz und gar nicht tue, obschon
sie allerdings zwingt, den Worten „Arbeit an sich selbst“
und „Erziehung“ einen ganz besonderen, strengen Sinn zu
geben, einen ganz und gar „objektiven“ Sinn, wenn man so
sagen will: Arbeit an sich selbst und Erziehung sind als be¬
stehend geschaute Sachverhalte im Rahmen des psycho-phy-
sichen Empirisch-Wirklichen.
Mein reines Wissens-Schauen befreit mich von dem Haben
von Affekten, ja, wie schon Spinoza wußte: mein reines
Wissens-Schauen der Affekte selbst befreit mich ganz be¬
sonders von ihnen. Ich „will“ diese Befreiung und will daher
dieses reine Schauen. Ja, ich schaue, daß ich es will, und