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Vili. Das Wollen.
2. „Rationalismus“.
Die Zurückführung des Willens- auf das Inhalts-, das
Gedanken-erlebnis, soweit das eigentlich Bewußte in Frage
steht, diese Zurückführung darf als die Lehre vom Intellek¬
tualismus oder auch Rationalismus1) des Habens be¬
zeichnet werden.
Das in Ordnung Haben, das In-Ordnung-Befinden wird
das einzige und zugleich alles, was es bewußt gibt. Wollen
und fühlen werden zu bloßen Abarten des Gedanken-habens,
zu Abarten, die sich nur durch geringe Klarheit, durch ge¬
ringere Ausprägung der Endgültigkeit von klaren Ordnungs¬
gedanken unterscheiden. Diese Lehre ist alt; sehr klar
ausgesprochen ist sie bei Descartes und Spinoza; heute
ist sie wenig beliebt. Man rühmte sich heute seines
„Irrationalismus“, man preist das „Gefühl“. Wir preisen
auch das Gefühl, wenn man das Endgültigkeitswissen mit
Rücksicht auf Ordnung, die „Evidenz“, jeder, auch der
„ethischen* * und „ästhetischen Art“ so nennen will. Aber
man nennt es besser nicht so; man verwechselt nämlich genus
und species, wenn man es so nennt. Gefühle im eigentlichen
Sinne sind bestimmte Inhalte mit bestimmter Solchheits-
tönung, eben „Lust“ oder „Unlust“; Evidenz steckt in
jedem erlebten Inhalt, insofern eben dieser Inhalt, welcher
ein solcher ist, Gegenstand ist,
Rationalismus als In-Ordnung-Befinden heißt nun frei¬
lich nicht „summenhaft Befinden“ oder gar „mechanisch¬
befinden“. Meint man das mit Rationalismus, so lehnen
„Setzungen, nur eben nicht doxische* seien, so meint er wohl das¬
selbe wie wir (s. auch 1. c. S. 221). Unserer Ansicht nach ist freilich
auch in der „Neutralitätsmodifikation“ (ibid. S. 224 ff.) das Gehabte
als Gegenstand überhaupt „gesetzt“.
*) Über die Vieldeutigkeit des Wortes „Rationalismus“ vgl. die
klare Studie Volkelts in Schopenhauer-Jahrb, 8, 1919, S'. 55.