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VII. Die „Wahrheit“ und ihre Kriterien.
zano) zu reden, hat, so lange man in der Logik bleibt, keinen
klaren Sinn.
Wir treffen hier den Begriffsrealismus, den wir auf
Seite 30 ff. für das Gebiet der allgemeinen Logik einschließlich
der Mathematik schon zwar verstanden aber abgelehnt haben
in einer neuen Form an und wollen eine kurze Zwischen¬
untersuchung über ihn einfügen1).
Gründen tut sich die seltsame Lehre von den Vorstel¬
lungen und Sätzen „an sich“ auf den Sachverhalt, daß offen¬
bar alles Wissen, auch dasjenige um Natur und Seele, als
aktueller oder potentieller Besitz gewisser Begriffs- und Ur¬
teilsinhalte, welche einen „Sinn“ haben, gefaßt werden kann,
wobei freilich der ausführlich von uns erörterte Umstand,
daß Natur- und Seelenwirkliches als gleichsam selbständig
„gemeint“ wird, zu kurz kommt.
Die sinnhaften Urteils-, besser Setzungsinhalte sind es
nun eben, die von Bolzano und seinen untereinander recht
verschiedenartigen Anhängern zum An-sich verabsolutiert
werden und ein „Sein“ haben sollen.
Zunächst gilt es sich klar zu machen, daß es sich um
eine neue Form des platonischen Seins hier handeln würde:
Begriffe und Sätze der reinen Bedeutungslehre {Logik und
Mathematik) haben nämlich nur schlichte Bedeutungen, ohne
irgendeine zeitliche Beziehung, zum Inhalt. Ein „wahrer
Satz an sich“ dagegen, der auf empirisch Wirkliches geht,
ist zwar auch als Bedeutung, als „Sinn“, zeitlos, meint aber
Zeitliches oder doch, als „Gesetz“, möglicherweise Zeitliches.
Wie kommt es nun, daß der Schein eines platonischen
Seins auch der empirischen Begriffe und „Sätze an sich“ ent-
l) Groos- (Zeitschr. f. Psych. 62, 1912, S. 271) redet mit Recht
von einem .naiven Logizismus*, der dem naiven Realismus in Sachen
der Naturauffassung verwandt sei.