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VII. Die „Wahrheit“ und ihre Kriterien.
seits das Wort „Wahrheit“ mehrdeutig und andererseits
„Wahrheit“ in ihrer höchsten Bedeutung nie „absolut“,
wie so oft behauptet wird.
Was die Mehrdeutigkeit des Wortes „Wahrheit“ an¬
geht, so müssen wir auf dem Boden unserer Philosophie scharf
scheiden zwischen schlichter Endgültigkeit, Richtig¬
keit und echter Wahrheit und eine entsprechende Unter¬
scheidung ist, wie ohne weiteres erhellt, auch für jede
minder kritische Philosophie notwendig.
2. Der UrSachverhalt.
Vor allem, was das übliche Wort „Wahrheit“ bedeuten
kann, also vor schlichter Endgültigkeit, Richtigkeit, echter
Wahrheit, steht nun aber offenbar noch Eines: das sich selbst¬
wissende Schauen des UrsachVerhalts mit seinem Bestandteil
Ordnung oder, wie Neukantianer gerne sagen, „Gültigkeit“.
Diese Bedeutung Ordnung (oder „Gültigkeit“) schlechthin, die
besteht für Ich „vor“ allem, auch „vor“ allen „Kriterien“.
Ihr Bestehen gibt überhaupt erst dem Worte „Kri¬
terium“ einen Sinn. An der urgeschauten selbst un-
„geraessenen“ Bedeutung „Ordnung“ kann erst, sozusagen,
„gemessen“ werden. Es steht mit diesem Sachverhalt, der
sich in unserem Begriff des Vorwissens um das, was Ordnung
und Ordnungszeichen sind, zusammendrängt, in enger Be¬
ziehung, daß Ordnungslehre keine eigentliche „Methode“ kennt,
die vor ihrer Ausführung gegeben wäre, daß vielmehr „die
Durchführung der Ordnungslehre selbst die Aufzeigung des
für sie allein möglichen Weges ist1).
*) s. O.L.: Seite 34, Ich glaube, Pleßner steht in seiner Schrift
Krisis der transzendentalen Wahrheit im Anfang (1918) dieser .Lehre näher,
als er selbst glaubt, so z. B, wenn er auf Seite 57 sagt: „Kritisches
Verfahren muß innerlich selbstbewußt und sich gültig sein“ und nicht
etwäs, worauf „der es ausübende Forscher zur Kontrolle reflektieren