Full text: Die Krise des Idealismus

neu Völkern und Nationen und in den einzelnen Zei¬ 
ten eigene Kulturen zu erzeugen, also auf den Gebie¬ 
ten der Kunst und des Rechtes, des staatlich-politi¬ 
schen Lehens, der Erziehung, der Bildung, des Unter¬ 
richtes usw. solche Leistungen hervorzubringen, die 
aus der eigenen Kraft, aus der eigenen Gemütsverfas¬ 
sung und Berufung stammen, jene Abwehr, jener 
Kampf mehr oder minder deutlich an. Im gewissen 
Sinne vollzieht sich die geistige Entwickelung des 
Abendlandes seit dem „Untergang“ der antiken U eit 
in einer ständigen und bisweilen leidenschaftlichen 
Auseinandersetzung mit der klassischen Kultur. Die 
Dauer und die Heftigkeit dieser Auseinandersetzung, 
der Trotz und die Unbeugsamkeit der an ihr beteilig¬ 
ten Persönlichkeiten erklären sich ungezwungen aus 
einem geistesgeschichtlich entscheidenden LImstande, 
Sowohl die Grundlegung als auch der Aufbau und 
nicht zuletzt die Sinn- und Zielbestimniung einer Kul¬ 
tur sind nämlich fast stets Fragen und Schöpfungen 
der „Form“. Der bekannte Ausspruch: der Stil macht 
den Menschen, läßt sich berechtigtermaßen zu der 
Behauptung erweitern; der Stil oder die Form ist die 
Kultur. Die persönliche Begabung eines Menschen 
oder eines Zeitalters offenbart sich in der Gewinnung 
einer ihm wesensgemäßen und eigentümlichen Form. 
Damit aber sind die Forderung und die Notwendig¬ 
keit der Auflösung, der Zertrümmerung des als ewig 
und allgemeingültig erklärten „idealistischen“ Form¬ 
gedankens gegeben. 
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