scheu dem Wahren und dem Guten aus. Von ande¬
ren Zügen dieser Beziehung sehen wir im Augenblick
noch ab.
Psychologisch und philosophisch ist dieses Wech¬
selverhältnis wegen seiner weittragenden Folgen un¬
gemein beachtenswert. Setzen wir einmal den Fall,
es sei auf Grund irgendeiner Beweisführung oder ei¬
ner künstlichen Spekulation gelungen, uns von
dem Scheincharakter, von der Scheinhaftigkeit der¬
jenigen Welt zu überzeugen, die wir sonst gewöhnlich
als die wirkliche Welt anschauen und würdigen. Doch
auch dann verlangen wir die „Wirklichkeit“ dieses
Scheincharaklers. Sogar in der Bezeichnung „nichti¬
ger Schein“ steckt diese Realität. Denn auch dann
soll es eine wirkliche Nichtigkeit sein. So wie wir —
vergleichsweise — von dem wirklichen Nichts, von
dem wirklichen Nein sprechen, wie wir das Nein, das
Nichts auch als Nein und als Nichts unbedingt als
wirklich ansehen und würdigen. Dieser Hunger nach
Wirklichkeit ist einer der bezeichnendsten Züge der
menschlichen Natur. Und dieser Hunger sucht und
findet die verschiedenartigsten Wege zu seiner Befrie¬
digung. Der Glaube an das Leben und sein Ausdruck
in der Lehensphilosophie sind, von allen wissen¬
schaftlichen und philosophischen Gründen abgese¬
hen, einer dieser Wege.
Weil es für unseren Zweck besonders wichtig ist,
gerade von diesem Punkt eine klare Erkenntnis zu
gewinnen, seien zur Beleuchtung dieses Realitäts¬
bedürfnisses noch weitere Beispiele angeführt. Ge¬
wöhnlich werden das Märchen und die Lüge als solche
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