Husserls mit Hecht berühmt gewordene Phänome¬
nologie setzt dann später, so um 1900, diese ontologi¬
schen Gedanken fort. Sie konnten zunächst, d. h. zur
Zeit ihrer Entstehung in den siebziger und achtziger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesichts der
damaligen starken Herrschaft verschiedener idealisti¬
scher Schulen, wie der des idealistischen Neukantia¬
nismus oder des Neufichteanismus Lotzes und Rudolf
Euckens u. a. nicht recht zu der ihnen gebührenden
Geltung gelangen x). Der mit Zustimmung begrüßte
Aufruf Husserls des „Hin oder Zurück zu den Phä¬
nomenen“ bringt die Tendenz, die auf die angemes¬
sene Bemächtigung des wirklich Gegebenen gerichtet
ist, zu scharfem Ausdruck. Dieser Aufruf erweckte
nicht bloß Aufsehen, er veranlaßte auch das Suchen
nach dem sichersten Wege zur vollen Durchführung
dieser ontologischen Absicht. Unter Auswertung von
Anregungen Brentanos betrachtet die Phänomenolo¬
gie die Wesensschau als diesen Weg. Für den Zweck
ihrer Verdeutlichung läßt sich am besten die Einstel¬
lung des Künstlers zu den Erscheinungen heranzie¬
hen, besonders jene weltenweite Aufgeschlossenheit
und herrliche Unvoreingenommenheit, mit der z. B.
Shakespeare oder Goethe das Geschehen in der Au-
x) Der I. Band von Brentanos „Psychologie vom empiri¬
schen Standpunkt“ erschien 1874. Die Schrift „Was für ein Phi¬
losoph manchmal Epoche macht“ erschien 1876. Sie war der
Darstellung und Kritik nach gegen Plotin, tatsächlich aber ge¬
gen Hegel als den schlimmsten und gefährlichsten Vertreter der
idealistischen Spekulation gerichtet, die Brentano als das „Sta¬
dium des äußersten Verfalls“ bezeichnet.
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