nung“ etwas ganz anderes, als die positiven Einzelwis-
senschaften unter diesem Begriff verstehen. Und hei
ihnen bedeutet der Begriff der Erscheinung wieder
etwas anderes, je nachdem er in den Naturwissen¬
schaften oder in den Geisteswissenschaften gebraucht
wird. Eine physikalische Erscheinung z. B. ist in
ihrer Existenz und in ihrem physikalischen Sinn nicht
eines und desselben Wesens mit einer religiösen oder
künstlerischen oder sittlichen oder politischen Er¬
scheinung, Vollends aber wandeln sich Realität und
Realitätssinn der Erscheinung, wenn sich die Philo¬
sophie mit diesem Begriff beschäftigt. Die Philoso¬
phie versteht diesen Begriff im strengsten Sinne, so¬
zusagen wortwörtlich. Sie denkt hei ihm sofort an
das, was in der Erscheinung und als Erscheinung sich
kundgibt, also an das Erscheinende als den Schöpfer
und Träger der Erscheinung, mithin an das „hinter“
ihr Wirkende oder an das „Absolute“. Und von ihm
aus begreift und deutet sie die Erscheinung. Sie
nimmt die Erscheinung eben genau als Er-Scheinung,
sie macht sie gleichsam durchsichtig, durchscheinend,
sie schaut durch sie hin auf das in ihr erscheinende
Unbedingte. Im höchsten Sinne gesprochen: Es han¬
delt sich bei ihr um ein „Spiel“ mit der Erscheinung,
um die Haltung der Freiheit ihr gegenüber. Davon
wird noch zu reden sein. Die Einzelwissenschaften
dagegen sehen von der Erscheinung in keiner Weise
ab. Im Gegenteil, sie halten sich an sie, um sie mit
ihresgleichen in einen gesetzlichen Zusammenhang zu
bringen. Sie sind mithin stärker an der Realität der
Erscheinungen interessier! und ungleich mehr an sie
11 A. Liebert. Die Krise d. Idealismus.
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