Full text: Philosophie der Kunst

Das empirische Problem. 
19 
Wenn wir aber „empirisch“ sagen, so soll damit nicht eigentlich 
vom vulgären oder vorwissenschaftlichen Bewußtsein die Rede 
sein. Empirisch ist vielmehr seiner Natur nach jeder wissenschaft¬ 
liche Begriff — wenigstens von dem Standpunkt aus, dem wir uns 
anschließen wollen und auf den man immer jeden Gedanken 
zurückführen wird, der sich bemüht, absolut, d. h. mit unbeugbarer 
logischer Kraft, zu denken. Alle Wissenschaft, solange sie sich nicht 
innerlich in Philosophie umgestaltet, ist empirisch. Sie besteht in 
der Beobachtung, in der Feststellung, in der äußeren Erkenntnis 
dessen, was ist, was geschieht, was entsteht. Äußerlich ist die Er¬ 
kenntnis, weil der von dem Erkennenden, d. h. von dem beobachten¬ 
den Gedanken eingenommene Blickpunkt so ist, daß das erkannte 
Objekt als außerhalb des Subjekts angenommen wird, und so ist 
das Subjekt außerhalb des Objekts wie das Objekt außerhalb des 
Subjekts. Wo es sich um eine derartige Erkenntnis der Kunst 
handelt, nämlich auf dem Wege der aufmerksamen Beobachtung 
dessen, was ist, und der peinlichen Scheidung dessen, was Kunst 
ist, von dem, was Kunst nicht ist, nimmt der Gedanke eine Haltung 
ein, in die stets ein zweifaches Wissen mit einbegriffen ist: daß 
nämlich der Gedanke selbst, der beobachtet und mittels der Beob¬ 
achtung danach strebt, eine Begriffsbestimmung aufzustellen, etwas 
anderes ist als die Kunst, die definiert werden soll. Zwar darf 
man zugeben, daß es eine Kunst nicht gibt, die nicht ein inner¬ 
licher Bestandteil eben desselben Geistes ist, der jetzt denkt, 
und der eben gerade „Kunst“ denken will: aber der Geist, der 
Kunst ist, ist nicht der Geist, der Gedanke ist; soweit er Kunst 
ist, ist er ein Geist, der durchaus verschieden von dem ist, der 
er als Gedanke ist. Die Beziehung zwischen dem einen und dem 
anderen Moment, zwischen der einen oder der anderen Form des 
Geistes, kann man etwa als analog der Lage eines erwachsenen 
Menschen bezeichnen, der seine Jugendschriften wiedersieht und 
noch einmal liest: sie wurden von ihm selbst geschrieben, aber als 
er ein anderer Mensch war, als er ein Mensch war, zu dem weder 
er noch ein anderer ihn aus seiner jetzigen Lage heraus zurück¬ 
kehren zu lassen vermag. 
Der Empirismus ist die Philosophie, die behauptet, jede Er¬ 
kenntnis sei empirisch: die Erkenntnis, die man als möglich an¬ 
nehmen kann, wenn man zugleich annimmt, das Subjekt habe 
seinen Gegenstand vor sich und außerhalb seiner selbst, vor aller 
Kenntnis, die es davon zu erwerben in der Lage ist. Natürlich 
kann dieses Objekt in der Natur sein, deren Erfahrung als äußere
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.