Das empirische Problem.
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Wenn wir aber „empirisch“ sagen, so soll damit nicht eigentlich
vom vulgären oder vorwissenschaftlichen Bewußtsein die Rede
sein. Empirisch ist vielmehr seiner Natur nach jeder wissenschaft¬
liche Begriff — wenigstens von dem Standpunkt aus, dem wir uns
anschließen wollen und auf den man immer jeden Gedanken
zurückführen wird, der sich bemüht, absolut, d. h. mit unbeugbarer
logischer Kraft, zu denken. Alle Wissenschaft, solange sie sich nicht
innerlich in Philosophie umgestaltet, ist empirisch. Sie besteht in
der Beobachtung, in der Feststellung, in der äußeren Erkenntnis
dessen, was ist, was geschieht, was entsteht. Äußerlich ist die Er¬
kenntnis, weil der von dem Erkennenden, d. h. von dem beobachten¬
den Gedanken eingenommene Blickpunkt so ist, daß das erkannte
Objekt als außerhalb des Subjekts angenommen wird, und so ist
das Subjekt außerhalb des Objekts wie das Objekt außerhalb des
Subjekts. Wo es sich um eine derartige Erkenntnis der Kunst
handelt, nämlich auf dem Wege der aufmerksamen Beobachtung
dessen, was ist, und der peinlichen Scheidung dessen, was Kunst
ist, von dem, was Kunst nicht ist, nimmt der Gedanke eine Haltung
ein, in die stets ein zweifaches Wissen mit einbegriffen ist: daß
nämlich der Gedanke selbst, der beobachtet und mittels der Beob¬
achtung danach strebt, eine Begriffsbestimmung aufzustellen, etwas
anderes ist als die Kunst, die definiert werden soll. Zwar darf
man zugeben, daß es eine Kunst nicht gibt, die nicht ein inner¬
licher Bestandteil eben desselben Geistes ist, der jetzt denkt,
und der eben gerade „Kunst“ denken will: aber der Geist, der
Kunst ist, ist nicht der Geist, der Gedanke ist; soweit er Kunst
ist, ist er ein Geist, der durchaus verschieden von dem ist, der
er als Gedanke ist. Die Beziehung zwischen dem einen und dem
anderen Moment, zwischen der einen oder der anderen Form des
Geistes, kann man etwa als analog der Lage eines erwachsenen
Menschen bezeichnen, der seine Jugendschriften wiedersieht und
noch einmal liest: sie wurden von ihm selbst geschrieben, aber als
er ein anderer Mensch war, als er ein Mensch war, zu dem weder
er noch ein anderer ihn aus seiner jetzigen Lage heraus zurück¬
kehren zu lassen vermag.
Der Empirismus ist die Philosophie, die behauptet, jede Er¬
kenntnis sei empirisch: die Erkenntnis, die man als möglich an¬
nehmen kann, wenn man zugleich annimmt, das Subjekt habe
seinen Gegenstand vor sich und außerhalb seiner selbst, vor aller
Kenntnis, die es davon zu erwerben in der Lage ist. Natürlich
kann dieses Objekt in der Natur sein, deren Erfahrung als äußere