Schluß.
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Wenn Hegel sagt, die Kunst sei die sinnliche Gestalt der Idee,
so geht er auf die Begriffsbestimmung Vicos zurück, weil die Idee
für ihn nicht ein Begriff oder der Begriff des Geistes, sondern das
Selbstbewußtsein selbst, d. h. der seiner selbst bewußte und da¬
durch wahre Geist ist. Ein machtvoller Begriff, der, wie er in
wunderbarer Weise Vico in seinen wenigen Beispielen ästhetischer
Kritik diente, so auch Hegel es ermöglichte, eine geschichtliche
Darstellung der universellen Kunst zu geben, die in vielen
Teilen durch die Stärke der Eindringlichkeit und des Urteils¬
vermögens überwältigend ist. Aber der Irrtum Hegels war der
gleiche wie der Vicos, wenngleich auf einer viel höheren spe¬
kulativen Ebene. Auch für den deutschen Philosophen ist die
ästhetische Form nicht wesentlich und nicht unüberwindlich; der
Geist geht durch sie hindurch, um sie wieder zu verlassen
und sich zur Philosophie, zu der reinen Form der Idee an und
für sich zu erheben. Und die Kunst ist dieser höchsten Form des
Gedankens nicht immanent.
6.
De Sanctis und Croce.
Nach Hegel ist der größte Denker, der das Problem der Kunst
behandelt hat, De Sanctis. Dieser hat das große Verdienst, die
sinnliche Form, die Hegel als Merkmal der ästhetischen Schöpfung
bezeichnet hatte, besonders beleuchtet zu haben. Er besteht auf
dem absoluten Charakter dieser Form, in der es zwar einen Inhalt
gibt, der aber als Inhalt überwunden und aufgehoben wird. Kritiker
von großer Genialität, wandte er diese seine ästhetische Lehre
nicht wie ein geistreicher Schriftsteller, sondern geradezu als Neu¬
schöpfer des Kunstwerks an, dessen Zauber, Gewalt, Wärme, mit
einem Wort, dessen göttliche Kraft und Schönheit nie wieder
jemand wie er gedeutet hat, nie wieder jemand wie er hat fühlen
lassen. Und als Philosoph hat er das Verdienst, lebhaft für den
sinnlichen und leidenschaftlichen Charakter des Schönen und für
die Notwendigkeit gekämpft zu haben, auf diesem Wege den Ge¬
danken von den leeren Abstraktionen in die Konkretheit des
Lebens und des Daseins zurückzuführen; in sie muß der Gedanke
sich mit seiner tiefsten Wurzel einsenken, mit der er sich ins Ganze
vertieft. Das ist die geheime Ursache und Bedeutung, weshalb er
Dantes Hölle seinem Paradies den Vorzug gibt; das ist der Sinn
seiner Sympathien für den Realismus Kirchmanns (der übrigens