Der menschliche Charakter der Kunst.
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man dieses Sein dem Gedanken angleicht und, was immer es sei,
als dem Gedanken identisch betrachtet; eine Frage jedoch, auf
die es nie eine Antwort geben wird, solange Denken und Sein als
Verschiedenes gelten. Wo diese Identität geleugnet wird, wird jede
Antwort, wenn es überhaupt eine gibt, eitel sein.
5.
Notwendigkeit der idealen Ableitung
der Kunst.
Hinsichtlich der Kunst werden es wahrscheinlich viele ablehnen,
die Notwendigkeit oder Rechtmäßigkeit der Frage nach dem Wes¬
halb zuzulassen. Ich spreche von vielen, nicht weil die Zahl der
Törichten unendlich groß, sondern weil es unbestreitbar ist, daß der
größte Teil der Menschen nicht geneigt ist, sich ernsten Mühen
auszusetzen, am wenigsten aber der härtesten Mühe, die es gibt,
der des Denkens nämlich, um sich das zu verschaffen, was nicht
notwendig ist, und um sich vor allem Rechenschaft über die Not¬
wendigkeit dessen abzulegen, worauf man bei oberflächlicher Be¬
trachtung doch sehr gut verzichten kann. Und nicht wenige werden
die Zweckmäßigkeit, ja den Ernst unserer zuerst aufgeworfenen
Frage bestreiten, ob es Kunst gibt, überzeugt, die einzig ver¬
nünftige Frage sei die: was ist diese Kunst, von der alle sprechen
— denn daß es Kunst gibt, davon sind alle überzeugt, und wenn
es einer nicht sein sollte, um so schlimmer für ihn — was ist diese
Kunst, von der mancher zwar zu wissen glaubt, was sie ist,
ohne aber in der Lage zu sein, sie den andern begreiflich zu machen?
Hier liegt die einzig mögliche Untersuchung, die wirklich einen
Sinn hat. Tatsächlich legt sich der größte Teil der Ästhetiker, auch
derer, die mit vollem Recht gefeiert werden, nur diese Frage vor,
wenn sie auch bei dem Fortgang der Untersuchung dessen, was
Kunst sei, nichts anderes tun können, als hinsichtlich der ersten
Frage, ob Kunst sei, eine gegebene Lösung anzunehmen, und sie
polemisch zu verteidigen. Damit wird bekämpft die Theorie derer,
denen es nicht gelang, ein eigenes Wesen der Kunst begrifflich
herauszuarbeiten, und die deshalb in ihrer Ratlosigkeit auf die
Behauptung zurückgehen, eine Kunst, die sich als spezifische Akti¬
vität wesensmäßig von den andern grundlegenden Aktivitäten
des Geistes unterscheide, gäbe es nicht. Kommen sie nun auf dem
von ihnen erwählten Weg etwas vorwärts, so bleibt ihnen nichts
übrig, als sich die Frage nach dem Ort vorzulegen, den die künst¬