Der menschliche Charakter der Kunst.
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Wesen. Und andererseits nimmt dieser einzige Begriff als Einheit
von Dasein und Wesen-sein im Gedanken eine endgültige Form
an, die das Geheimnis der Unlöslichkeit des Seins von der Existenz
offenbart: die Form des Begriffs nämlich. Denn das Wesen des
Gedankens ist eben das Wesen, durch das der Gedanke da ist,
insoweit er die Form des Begriffs hat. Der Gedanke existiert tat¬
sächlich durch das Denken, d. h. indem er sich als Begriff (seiner
selbst) setzt.
Wenn sich der Gedanke aber ein Problem vornimmt, d. h. wenn
er das ihm begegnende Objekt sich angleichen will, so weiß er
nicht, daß die Lösung immer zur Rückführung des Objekts auf den
Begriff führen wird, wie immer das Objekt beschaffen ist, aus dem
das Problem sich erhebt, und zwar zur Rüdeführung auf eben den
Begriff, worin der Gedanke selbst besteht. Und deshalb beschränkt
er sich darauf zu fragen, ob es dieses Objekt, das sich ihm entgegen¬
stellt und durch sein Gegebensein oder durch seine Existenz ihm
Schranken setzt, wirklich existiert. Weiter fragt er, was dieses
Objekt sei, das, hätte es ein Eigendasein, wie es ein solches führte,
wenn es ein wirklich gegensätzliches Objekt wäre, die Kette ver¬
stärken würde, an die das Subjekt von Anfang an gelegt ist.
Gibt es das Objekt? Was ist es? — Das sind die beiden Probleme,
in denen jedes um ein bestimmtes Objekt kreisendes Problem
seinen Ausdruck findet. Zwei innerlich miteinander verbundene
Probleme: denn es existiert das Objekt, wenn es etwas ist, und es
ist etwas, wenn es existiert.
Zwei Probleme, die auch nach ihrer Lösung den Geist un¬
befriedigt lassen. Das ist der Nachteil der gemeinen Erfahrung
und der Einzelwissenschaften, soweit sie nicht durch ein auch nur
annäherndes Anschauen der letzten Wahrheit vertieft werden. Diese
Wahrheit kann nur in der vollen Angleichung des Gegenstandes
an den Gedanken bestehen. Und weil das Wesen des Gedankens
der Begriff ist, so kann man von jedem beliebigen Problem sagen,
es habe eine volle Lösung erst dann gefunden, wenn nicht nur das
Wesen des Objekts begrifflich umgrenzt ist, sondern wenn ihm
dieselbe Bestimmung zuteil geworden ist, die dem Gedanken zu¬
kommt, d. h. wenn man erkannt hat, daß das Objekt selbst Begriff,
und zwar Begriff von sich ist oder, wie in der Logik1) gesagt wurde:
Solange dieses Ziel nicht erreicht ist — und mit voller Bewußt¬
heit erreicht man es selten —, darf man nicht annehmen, daß der
1) Gentile: Sistema di logica come teoria del cono8cere2, Bari 1923,
II, 134—149.