Full text: Philosophie der Kunst

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Die Attribute der Kunst. 
2. 
Unsterblicher und sterblicher Gedanke. 
Wenn der Gedanke sich anschickt, sich selbst zu betrachten, so 
gleicht das Leben, in dem er sich verwirklicht, der Weise des 
Menschen, der im Trocknen am Ufer steht und sich wohl hütet, 
auszugleiten und in den Fluß zu fallen; der Gedanke zeigt sich 
tatsächlich verurteilt, davonzufließen wie das Wasser; und will 
er sich als ewig auffassen, so wird er sich nur als einen ewig uner¬ 
schöpflichen Fluß denken können, zu dem man immer zurück¬ 
kehren kann, um seinen Durst zu löschen, wo man aber nie 
das gleiche Wasser trinken wird. Gibt es aber außer dem 
Gedanken, der so wie ein Flußlauf betrachtet wird, nicht auch den 
Gedanken, der den Lauf betrachten wird? Und wäre es möglich, 
die Bewegung des Wassers in ihrem Bett zu sehen, wenn auch der 
Mensch sich bewegte und alles mit dem Wasser sich bewegte? Der 
erste Gedanke, der wahre Gedanke, mit dem man alles wird denken 
können, was man will, ist nicht der, den man gleichsam unter 
unsere Augen stellen kann, und der in Bewegung ist, sondern 
es ist der, der feststeht und alle Dinge laufen sieht und mit 
ihnen, von einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet, auch den 
Gedanken selbst. Es ist der Gedanke in seiner Verwirklichung. 
Dieser steht im Vergleich zu dem andern fest, in Wirklichkeit, ab¬ 
solut betrachtet, bewegt auch er sich, aber in einer tatsächlich ver¬ 
schiedenartigen Bewegung. Er steht fest, weil er die Bewegung der 
Dinge sieht (und des Gedankens als Sache). Doch er beharrt nicht, 
soweit er sich selbst sieht. Und in Wirklichkeit beharrt er nie, 
denn auch wenn er die Dinge sieht, sieht er im Grunde nur sich 
selbst. So entfernt sich der General, der von der Spitze eines 
Hügels der Entwicklung einer Schlacht zusieht, nicht von seinem 
Platz, er läßt nur die Augen umherschweifen, oder der Fernstecher 
folgt den Bewegungen seines Heeres. Das Zentrum ist ein einziger 
Punkt, an dem es keine Bewegung gibt, die einen Übergang von 
einem Punkt zum anderen bedeuten müßte. Die Bewegung ist an 
der Peripherie, wo es unzählige Punkte gibt. 
Doch die Unbeweglichkeit des Generals besteht nur im Ver¬ 
gleich mit der Bewegung des Heeres: in der absoluten Unbeweglich¬ 
keit würde er einschlafen. So bleibt der Gedanke, der sich die 
Bewegung aller Dinge vorstellt einschließlich des Gedankens selbst 
(denn es gibt viele denkende Wesen, die über einen bestimmten
	        
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