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Die Attribute der Kunst,
und nichts anderes als das Objekt. Es ist die Kraft, die zu Boden
wirft und hinaufhebt. Gesetz und Wille, fähig, sich ihm anzu¬
passen; Wahrheit und Intellekt, von dieser Kraft erleuchtet:
all das, wonach der Mensch strebt, und wovon er einen Strahl in
sich wahrniinmt. Das Subjekt (der Künstler) steht außerhalb des
Gesetzes, denn es ist ohne Gott, soweit es Subjekt ist. Es hat eine
Wahrheit, aber eine Wahrheit, die die seine ist, und daher ist es
skeptisch. Es ist das von der Gottesfurcht, dem initium sapientiae,
noch nicht gezähmte Individuum; Kind, das keine anderen Bedürf¬
nisse über die hinaus fühlt, die es seihst kennt. Und deshalb ist
es Egoist und muß zum Menschen erzogen und gebildet werden.
Es wird von der Freude, aber noch nicht von der Vernunft be¬
herrscht; es muß vernünftig werden, indem es Gott anerkennt,
indem es all das anerkennt, was sich ihm entgegenstellt und es
eingrenzt. Es ist der Barbar, der die Normen des bürgerlichen
Lebens mit seinen Schranken, seinen Verzichten, seinen Opfern
und seinen Pflichten noch nicht kennt.
Die Mystiker haben ihre Polemik gegen die Kunst gerichtet,
weil die Geschichte wie der menschliche Geist seihst ewig gegen
sie polemisieren. Die Religion stellt sich ihrer immanenten Natur
gemäß der Kunst entgegen, wie die Kunst der Religion. Aber es
herrscht nicht nur Krieg, es gibt auch Frieden. Und jenseits der
Gegensätze ist ihre Einheit: die Philosophie als Friedensbringerin.
2.
Die Katharsis.
Die künstlerische Katharsis befreit die Seele in einer doppel¬
ten Bedeutung: in dem besonderen und begrenzten Sinne der Be¬
freiung vom inneren Schmerz im einzelnen Kunstwerk und in
dem allgemeinen Sinne der Befreiung vom Lebensschmerz.
Für Aristoteles bezieht sich die Reinigung auf den inneren
Schmerz im Drama, der den Zuschauer am Schmerz des vom
Schicksal betroffenen und in ein unverdientes Unglück gestürzten
Darstellers teilnehmen läßt. Es ist schwierig festzustellen, wie
nach Aristoteles die Tragödie das Wunder dieser Seelenreinigung
bewirkt, da sie doch auf die wirkungsvolle Darstellung des Pathos
gerichtet ist. Man könnte denken, er habe das Gesetz der Über¬
windung des Leidens in dem Gedanken, der es vergegenständlicht,
geahnt. Wahrscheinlicher aber ist vielleicht die Deutung, daß er
die Tatsache nicht zu erklären wußte, die er in der Erfahrung