222
Die Attribute der Kunst.
könnte. Die Kunst ist die Form eines Inhalts; sie ist das Gefühl,
das seine bestimmte Existenz als Subjekt einer bestimmten Welt
hat, sie ist das Gefühl einer bestimmten Persönlichkeit, die als
Körper und als Gedanke alles in sich schließt. Diese Bestimmtheit
erwächst ihm aus dem Inhalt, den es in sich auflöst, um ihn wieder
auszudrüeken; ohne sie wäre das Gefühl eine schematische und
tote Einheit. Sein Leben liegt im Rhythmus, im Kreis der gei¬
stigen Synthese, in dem es zu einem bestimmten Gefühl und als
dieses zu einer bestimmten Persönlichkeit wird (Dante, Petrarca,
Ariost, Goethe, Manzoni): zum Gefühl einer bestimmten Welt.
Diese Welt ist Selbst-Bewußtsein, bewußter Gedanke, Philosophie;
also: die Geschichte der Philosophie geht offenbar mit der Ge¬
schichte der Kunst zusammen. Bei dieser Geschichte dringt die
Philosophie, jedem doktrinären Irrtum und Vorurteil zum Trotz,
jagt man sie zur Türe hinaus, zum Fenster wieder herein. In den
Hintergrund gestoßen, muß sie hier verbleiben, um es zu ermög¬
lichen, daß das Licht sich auf den Gestalten der Kunst sammle,
die aus ihr hervorstechen. In die Täler verwiesen, läßt sie von
dort sich die hohen Berge erheben, auf deren Gipfel das Licht
des subjektiven Gefühls schimmert. Diese ohne jene zu wollen ist
sinnlos. Sie sind kein hinzukommendes Zubehör, sondern not¬
wendige Ergänzung.
Die Kunstgeschichte, die Kunstkritik ist, muß den Inhalt über¬
winden, aber um ihn zu überwinden, muß sie durch sein Inneres
hindurchgehen. Die Geschichte ist daher Geschichte des Gedankens;
aber sie kann mit künstlerischem Interesse angesehen und auf¬
gebaut werden, sie kann das Gefühl zum Ausdruck bringen, das
allmählich in der Entfaltung des Geistes hervorbrach, um ihn neu
zu beseelen und neu zu beleben; immer aber ist sie die gleiche
Geschichte, die einzige Wirklichkeit, die es gibt.
III.
Die Kunst als Befreierin.
1.
Freude und Fehler der Kunst.
Seit Aristoteles seinen Begriff der Katharsis der Tragödie auf¬
gestellt hatte, hat sich die Ästhetik um diesen Begriff wie um
eines der Geheimnisse der Kunst bewegt: gleichsam als sei er
schwer zu verstehen, aber von sicherer Erfahrung. Denn eng mit