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Die Attribute der Kunst.
wie es das griechische Wort ausdrückt, die Schöpfer, die die
menschliche Welt mit neuen Formen bereichern, die sie so mit
den von früher her bestehenden Formen verflechten und in eins
setzen, daß Anblick und Wert des Ganzen sich erneuern. Und so
können sie als Schöpfer der geistigen Welt, in der die Menschen
leben, bezeichnet werden. Die Natur — diese Natur, die niemand,
so wenig nachdenklich er auch ist, rein von außen betrachtet,
ohne sie in sich als etwas zu fühlen, was wurzelhaft zu ihm ge¬
hört — würde den Menschen als kurze Gefangenschaft scheinen,
trotzdem ihnen so viel Schweiß von der Stirne rinnen muß, um sich
der Natur zu bemächtigen und ihr das tägliche Brot zu entreißen,
wenn sie nicht allmählich die Horizonte mit der schöpferischen
Macht der Kunst verbreiterten, die die Natur umgestaltet und un¬
endlich macht. Deshalb scheint es dem naiven Bewußtsein, als
ähnele der Künstler der Gottheit, und deshalb wurde die Kunst
immer etwa als Nachahmerin der Natur aufgefaßt, und man
glaubte, sie habe dasselbe wie die Natur zu tun und müsse daher
ihre Schöpfungen vervielfachen.
Darum sind die Menschen voll Anerkennung für die Dichter,
im universellen Sinne des Wortes; sie ehren und liehen sie. Durch
sie und mit ihnen kommen sie in den Besitz ihrer Welt. In ihnen
finden sie sich seihst wieder, nicht wie sie unmittelbar und mühe¬
los von Natur sind, sondern wie sie zu sein streben. Hier finden
sie ihr ideales Lehen wieder, das Leben, in dem sie ihr Fort¬
schreiten von Tag zu Tag genießen, wie es immer mehr vorwärts,
immer mehr in die Höhe führt mit neuen eindringlicheren, zar¬
teren, lebensvollen Erschütterungen. Wenn die Dichtung erlösche,
so würde sich die Welt, in der die Menschen leben, verdunkeln;
jedem neuen Kunstwerk, das am Horizont auftaucht, wenden sich
die Menschen mit erwartungsvoller Seele zu wie der aufgehenden
Sonne.
Ähnliche Ehre erweist man zwar den Denkern und den Män¬
nern der Tat. Aber in den Augen der Menschen ist zwischen
diesen beiden Gruppen großer Geister und den Dichtern ein be¬
trächtlicher Unterschied, den sie so stark empfinden, daß sie ver¬
sucht sind, in den Dichtern eine Art bevorzugter Geister zu sehen,
die abseits stehen, getrennt von allen ihren Mitmenschen. Der
Unterschied ist der: die Denker und die Männer der Tat fordern
von denen, die sich mit ihnen in die höhere Sphäre erheben wollen,
in der sie ihre geistige Welt verwirklichen, eine besondere Mühe,
die oft für den, der erst anfangen will — und das ist die große