Das Gefühl.
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der Erfahrung abzugeben, so glauben sie, die Schatten eines Ab¬
grundes von bodenloser Tiefe zu berühren, wo der Atem stockt
und man nicht leben kann.
Nein, der Gedanke ist ganz empirisch und ist ganz rein. Ak
empirisch erscheint er ganz in der Zeit; erfaßt man aber streng
auf Grund des vorhin dargelegten Erfahrungsbegriffes seinen
empirischen Charakter, so enthüllt sich die Zeit als das, was sie
ist: als den Gedanken nicht enthaltend, sondern als Inhalt des
Gedankens {jeden Gedankens), der daher nicht in der Zeit ist.
Will man aber diesen Gedanken, der Erfahrung ist, recht ver¬
stehen, so ist als Grundbedingung zu beachten, daß man den Ge¬
danken dort suche, wo er ist — in seinem Akt nämlich. Dort gibt
es keinen Irrtum, sondern dort herrscht die Wahrheit; jene Wahr¬
heit, die man im Akt selbst, in dem man sie als Wahrheit aufnimmt,
nicht zugleich für wahr und nicht wahr oder für wahr bis zu einem
bestimmten Punkt oder bis zu einem bestimmten Augenblick er¬
klären kann, und die also ewig ist. Der Gedanke ist ganz ewig,
weil er (hinsichtlich der Kantsdhen Erfahrung) ganz rein ist. Das
gilt zunächst vom Selbst-Bewußtsein, vom Ich. Aber das gilt davon
auch zuletzt. Denn der ganze Gedanke ist Selbst-Bewußtsein: Be¬
stimmung des Objekts, in dem das Subjekt Bewußtsein von sich
erwirbt oder sich als Bewußtsein von sich bestimmt.16)
Erfaßt man den Gedanken oder die Erfahrung in diesem
strengeren Sinne, so ist das Transzendentale, das der Erfahrung
immanent ist und sie zugleich transzendiert (das Transzendentale
also in der Kantschen Bedeutung) nicht mehr die Bedingung
a priori, an die Kant dachte, d. h. die Bedingung der Erfahrung
im engen Sinne, sondern die Bedingung jeglicher Erfahrung, jeg¬
lichen Gedankens. Und wenn jeder Gedanke nichts anderes als das
Ich in seiner Entwicklung sein kann, so ist das Transzendentale
16) Erneut sage ich, sollte man es noch nicht verstanden haben, daß man,
spricht man vom aktualistischen Standpunkt aus von absoluter Wahrheit, nicht
leugnen will, daß die Wahrheit selbst ihre Geschichte hat und daher der
Änderung und der Entwicklung unterliegt. Gesagt soll nur sein, daß trotz
dieser Geschichte sich jede Behauptung als absoluter Wert darstellt. Der
Gesichtspunkt mag sich wandeln; ist er aber gegeben, so ist das die Wahrheit
und kann nichts anderes sein. Es ist zwar richtig, daß man, ist eine Be¬
hauptung gegeben, die Änderung des Standpunktes und daher den nicht
absoluten Wahrheitscharakter der gegenwärtigen Behauptung voraussieht; aber
man muß wohl beachten, daß es sich bei der im eigentlichen genauen Sinne
gegenwärtigen Behauptung in diesem Falle nicht um die Behauptung handelt,
deren Wert man begrenzt, sondern um die andere Behauptung, mittels deren
man den Wert jener ersten Behauptung einschränkt. Und in jedem Falle denkt
man, soweit man denkt, nur absolute Wahrheit.