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Die Aktualität der Kunst.
Doch die neuen Untersuchungen, die von der Leibnizschen Philo¬
sophie ausgehen und innerhalb des als eine Entwicklung ver¬
standenen Geisteslebens angestellt werden, bei dem die höheren
Stufen sich mit den unteren mischen und der Gipfel des Gedankens
aus klaren und unterschiedenen Ideen besteht, während auf der
Basis des Gedankens dunkle und verworrene Ideen wimmeln, ver¬
anlassen im Verlauf des 18. Jahrhunderts die deutschen Philo¬
sophen, von den zwei klassischen Vermögen des Verstandes und
des Willens scharf das Gefühl zu unterscheiden: ebenso begann
man in England von Shaftesbury an, in beharrlicher Weise
den Ursprung der moralischen und ästhetischen Tatsachen aus
irrationalen Motiven zu betonen, die man in der unbegrenzten
Kategorie der „Gefühle“ auflas; immerhin verstand man diese Ge¬
fühle als ursprüngliche Haltungen des menschlichen Geistes, die
man weder von der Erfahrung noch von rationalen Prinzipien ab¬
leitete.
Kant sollte dieser Kategorie des Gefühls eine große Bedeutung
beilegen, obwohl er als empiristisch die auf dem Gefühl er¬
richteten moralischen oder ästhetischen Systeme bekämpfte: em¬
piristisch, denn das Gefühl schien ihm stets ein Erfahrungs¬
datum. Aber er unterschied die interessierten von den interesse¬
losen Gefühlen als jene Achtung, die ihm zufolge der Mensch vor
dem moralischen Gesetz haben soll, damit dies in seinem Gemüt
die Wirksamkeit einer Kraft erwirbt, die ihn veranlaßt, dem Gesetz
gemäß zu handeln. Ein interessiertes Gefühl ist das, das sich in
einer Freude konkretisiert, die man sich naturgemäß zu verschaffen
oder zu bewahren sucht, oder in einem Schmerz, der entsprechend
einer nicht weniger natürlichen Neigung unserer sinnlichen Natur
uns treibt, ihm aus dem Wege zu gehen oder ihn zu unterdrücken.
Daher handelt der Mensch, der auf Grund eines solchen Gefühls
handelt, nicht vernünftig: ebenso hatten es die antiken Denker
gesehen, die daher die Notwendigkeit predigten, die Seele von der
Tyrannei der Leidenschaften zu befreien. Das interesselose Gefühl
ist umgekehrt nicht dem Menschen eigen, der die Freude sucht
und den Schmerz flieht und so seiner sinnlichen Natur gehorcht.
Es trifft nicht den Menschen, mit Hilfe dessen, was dieser
pn ihm Eigentümlichen besitzt (Körper, Sinn und daher ein ihm
eigenes Interesse), sondern es ist dem vernünftigen Menschen eigen,
der sich an das Allgemeine wendet und fähig ist, sich an dem zu
erfreuen, dessen Dasein oder Nichtdasein ihm nicht nützt noch
schadet. Ein tiefer, wenn auch nicht ganz gerechtfertigter Begriff.