Full text: Philosophie der Kunst

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Die Aktualität der Kunst. 
ähnelt; hingegen ruft ihn die Vernunft auf, sich über diese zu er¬ 
heben, alle Grenzen der materiellen Dinge, an die der Sinn ge¬ 
bunden ist, zu überwinden und vom Besonderen zum Allgemeinen 
überzugehen, das das Reich des Unendlichen und des Unsterblichen 
ist. Das Gefühl gehört zwar durchaus zum einzelnen Menschen mit 
seinem Sinn und seinem Körper; es ist mit dem einzelnen Indivi¬ 
duum verbunden und ganz in seine Besonderheit eingeschlossen, 
die anderen nicht mitteilbar ist, weil der menschliche Körper in be¬ 
stimmte Grenzen gesetzt ist, und mit dem Gefühl zugleich besteht 
das Empfindungsvermögen. Mittels der Vernunft aber, die der 
Mensch besitzt, strebt er, muß er nach einer so allgemeinen Ver¬ 
nunftmäßigkeit streben, daß hierdurch jedes Element besonderer 
Subjektivität unterdrückt wird. Im Allgemeinen der Vernunft ist 
nicht Mein noch Dein, nicht Ich noch Du, nicht Dieses noch Jenes. 
Das Allgemeine ist Objekt, nicht Subjekt. Es hat nicht Persönlich¬ 
keit. Es ist nicht Geist. 
3. 
Bedeutung des Gefühls im Christentum. 
Als sich im Christentum ein neuer Lebensbegriff erhebt, der 
nicht mehr Natur, sondern Geist ist, und durch den die Natur, die 
ist, verneint werden muß, ein Begriff, der nicht Rückkehr zu einer 
bereits existierenden Wirklichkeit, sondern Anfang einer neuen, 
sich nur mit dem guten Willen verwirklichenden Wirklichkeit dar¬ 
stellt — da beginnt man von etwas zu sprechen, was im geistigen 
Leben des Menschen weit größere Bedeutung als das vernünftige 
Wissen und als die Gelehrtenphilosophie hat. Man spricht von 
Liebe, die Belebung schafft, von Glauben, von Hoffnung, kurz 
von Geisteshaltungen, die unmöglich Schlüsse aus Syllogismen sind, 
und mittels deren man doch zu unendlich größeren Fortschritten 
gelangt, als sie je zuvor erreicht waren, oder als man sie mit der 
ausgezeichnetsten Weisheit erreichen könnte. Unbestimmte Be¬ 
griffe, wenn man will; aber sie deuten klar auf etwas Lebendiges 
und Wesentliches hin, das sich mit dem Subjekt, das heißt mit dem 
Menschen verbindet, der seine Bedürfnisse und seine Schmerzen 
hat, der, mit einem Worte, sein Leben fühlt und Furcht vor den 
Hindernissen hat, denen er auf seinem Wege begegnet. Er emp¬ 
findet die Qual der Sünden, die seine Sünden sind, und die Bedräng¬ 
nis seiner Unseligkeit, des Todes, der auch ihn, gerade ihn, mit 
seiner Sichel erfassen wird, wie er unzählige andere Leben dahin¬
	        
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