Full text: Hans Driesch

den Biologen unmöglich als eine Linse wie ein physikalisches Objekt 
behandelt werden kann, sondern daß ihm das Auge als Mittel zum 
Zweck des Sehens auch erst Gegenstand der Forschung ist. Und 
wenn die Biologie von „rudimentären“ Organen spricht, so spricht 
sich auch darin unverkennbar eine notwendigerweise teleologische 
Einstellung aus. Und wenn der theoretische Biologe ein Organ oder 
eine Funktion, die ihm noch nicht so vertraut ist, daß er sich seiner 
Denkmittel gar nicht mehr bewußt wird, zum Gegenstand seiner 
Betrachtung machen sollte, so tut er es sicher auch gerade unter dem 
Gesichtspunkt: welchen Sinn, welche Aufgabe, welche Mission, wel¬ 
chen Zweck hat denn dieses Organ und seine Funktion? Ja, wäre 
nicht gerade der Verzicht auf eine solche Betrachtung in Wahrheit 
unfruchtbar, so wie eben der Behaviorismus bei llem Scharfsinn 
bald an den Grenzen anlangt, wo er, höchst lehrreicher Weise, ent¬ 
weder unfruchtbar wird oder verschleierte Anleihen beim Vitalis¬ 
mus und bei der Seele machen muß. Ist es wahrscheinlich, daß wir 
über Instinktleben und Triebleben zur Erkenntnis kommen und 
gekommen wären, wenn wir nur feststellen dürften: unter diesen 
Bedingungen verhält sich das Lebewesen so und so, und wenn wir 
uns der Frage enthalten müßten, warum, das heißt aber hier, „wozu“ 
sich das Lebewesen so verhält, — nicht einmal zum Begriff des In¬ 
stinktes würden wir dann kommen. Und endlich: Hat denn nicht 
gerade der Kampf und die Auseinandersetzung Mechanismus—Vita¬ 
lismus, der Streit für und gegen die Annahme einer Entelechie, die 
Biologie unserer Zeit entscheidend vorwärts getrieben? Gerade aus 
dieser Auseinandersetzung sind doch jene Erfahrungen erwachsen, 
die die Entwicklungsbiologie, die Experimente Drieschs, Spemanns 
u. a. zu Tage gefördert haben? Soviel zum mindesten sollte unum¬ 
stritten sein, daß die Finalbetrachtung schon heuristisch unentbehr¬ 
lich ist. 
Kurz, das Leben ist so, daß man das eine tun und das andere nicht 
lassen soll; kausalanalytische Forschung und Lebensbetrachtung 
unter den ebenfalls Erfahrung stiftenden Begriffen des Vitalismus 
haben sich zu ergänzen — ganz abgesehen davon, daß niemand von 
vornherein sich unterfangen kann, eine Betrachtungsweise als un¬ 
fruchtbar auszuschalten, er kann das nicht wissen. Aber selbst wenn 
praktisch, was wir bestreiten, die Früchte nicht aufzeigbar wären, 
so wäre die Frage für uns nicht weniger brennend geworden, denn 
wir werden zu ihr eben durch unser Erkenntnis-, Verständnis- und 
Rechenschaftsbedürfnis geführt; menschliches Denken kann sich 
nicht auf Positivismus und Pragmatismus beschränken lassen. 
So bleibt also als entscheidender Einwand eben doch nur mehr 
der, daß die Annahme einer Entelechie, für den Naturforscher zu- 
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