den Biologen unmöglich als eine Linse wie ein physikalisches Objekt
behandelt werden kann, sondern daß ihm das Auge als Mittel zum
Zweck des Sehens auch erst Gegenstand der Forschung ist. Und
wenn die Biologie von „rudimentären“ Organen spricht, so spricht
sich auch darin unverkennbar eine notwendigerweise teleologische
Einstellung aus. Und wenn der theoretische Biologe ein Organ oder
eine Funktion, die ihm noch nicht so vertraut ist, daß er sich seiner
Denkmittel gar nicht mehr bewußt wird, zum Gegenstand seiner
Betrachtung machen sollte, so tut er es sicher auch gerade unter dem
Gesichtspunkt: welchen Sinn, welche Aufgabe, welche Mission, wel¬
chen Zweck hat denn dieses Organ und seine Funktion? Ja, wäre
nicht gerade der Verzicht auf eine solche Betrachtung in Wahrheit
unfruchtbar, so wie eben der Behaviorismus bei llem Scharfsinn
bald an den Grenzen anlangt, wo er, höchst lehrreicher Weise, ent¬
weder unfruchtbar wird oder verschleierte Anleihen beim Vitalis¬
mus und bei der Seele machen muß. Ist es wahrscheinlich, daß wir
über Instinktleben und Triebleben zur Erkenntnis kommen und
gekommen wären, wenn wir nur feststellen dürften: unter diesen
Bedingungen verhält sich das Lebewesen so und so, und wenn wir
uns der Frage enthalten müßten, warum, das heißt aber hier, „wozu“
sich das Lebewesen so verhält, — nicht einmal zum Begriff des In¬
stinktes würden wir dann kommen. Und endlich: Hat denn nicht
gerade der Kampf und die Auseinandersetzung Mechanismus—Vita¬
lismus, der Streit für und gegen die Annahme einer Entelechie, die
Biologie unserer Zeit entscheidend vorwärts getrieben? Gerade aus
dieser Auseinandersetzung sind doch jene Erfahrungen erwachsen,
die die Entwicklungsbiologie, die Experimente Drieschs, Spemanns
u. a. zu Tage gefördert haben? Soviel zum mindesten sollte unum¬
stritten sein, daß die Finalbetrachtung schon heuristisch unentbehr¬
lich ist.
Kurz, das Leben ist so, daß man das eine tun und das andere nicht
lassen soll; kausalanalytische Forschung und Lebensbetrachtung
unter den ebenfalls Erfahrung stiftenden Begriffen des Vitalismus
haben sich zu ergänzen — ganz abgesehen davon, daß niemand von
vornherein sich unterfangen kann, eine Betrachtungsweise als un¬
fruchtbar auszuschalten, er kann das nicht wissen. Aber selbst wenn
praktisch, was wir bestreiten, die Früchte nicht aufzeigbar wären,
so wäre die Frage für uns nicht weniger brennend geworden, denn
wir werden zu ihr eben durch unser Erkenntnis-, Verständnis- und
Rechenschaftsbedürfnis geführt; menschliches Denken kann sich
nicht auf Positivismus und Pragmatismus beschränken lassen.
So bleibt also als entscheidender Einwand eben doch nur mehr
der, daß die Annahme einer Entelechie, für den Naturforscher zu-
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