Entwicklungsniechanik beirren, sondern fühlte sich immer mehr von
der dogmatischen Haltung seines Lehrers abgestoßen. Bereits in
seiner Dissertation, die sich mit der Tektonik der Hydroidpolypen
befaßte, hatte er sich nicht die Aufstellung eines hypothetischen
Stammbaumes, sondern die Erforschung der Gesetjlichkeit des Auf¬
baues der Polypenstücke zum Ziele gesetjt6. Die Frucht dieser metho¬
dischen Bemühungen des jungen Forschers ist die kleine, 1890 er¬
schienene Schrift: „Die mathematisch-mechanische Betrachtung
morphologischer Probleme der Biologie“, die zum Bruch mit Haeckel
führte. Auf gesicherter methodischer Grundlage geht nun Driesch
daran, das von His aufgestellte Prinzip der organbildenden Keim¬
bezirke und Weismanns Keimplasmatheorie, nach der die im Eikern
befindliche Struktur des Keimplasmas die Grundlage der Gestalt¬
entwicklung der Lebewesen ist, einer experimentellen Prüfung zu
unterziehen. Die Versuche, die Roux an Froschembryonen durch¬
geführt hatte, schienen die Keimplasmatheorie zu bestätigen, denn
wenn Roux im ersten Furchungsstadium des Keimes mit einer heißen
Nadel eine der beiden Furchungszellen tötete, so entfaltete sich aus
überlebenden Zelle ein richtiger Halbembryo7.
Driesch wiederholte nun 1891 in Triest an dem für diese Versuche
sehr günstigen Seeigelkeim dasselbe Experiment. Und es ergab sich
die überraschende Tatsache, daß sich aus der überlebenden Furchungs¬
zelle ein ganzer Seeigel von halber Größe entwickelte. Lange Reihen
verschiedenster ähnlicher Versuche, die. Driesch von Herbst 1891 bis
1900 in Neapel durchführte, führten zu ähnlichen Ergebnissen. Es
gelang ihm, die Aufzucht ganzer Lebewesen aus XU und 3/4 Keimen
und auch aus Keimen und Keimteilen, deren Zellen in weitgehend
abnormale Lagerung gebracht worden waren. Damit waren Tatsachen
festgestellt, die der His- und Weismann’schen Theorie, die weitgehend
auch Roux geteilt hatte, widersprachen, ja die sogar die mechani¬
stische Grundüberzeugung der ganzen damaligen Biologie, daß alles
Lebensgeschehen durch physikalisch-chemische Gese^lichkeit erklärt
werden könne, zu erschüttern begannen. Die Ergebnisse seiner Ver¬
suche veranlaßten Driesch zu einer Reihe grundlegender erkenntnis¬
theoretischer und naturphilosophischer Untersuchungen.
Schon früh hatte des bedeutenden Neukantianers Otto Liebmanns
„Analysis der Wirklichkeit“ Einfluß auf sein Denken gewonnen. Die¬
sem Vorläufer des kritischen Realismus unseres Jahrhunderts dankt
er die Einsicht in die grundlegende Bedeutung der Naturgesetjlich-
keit für eine philosophische interpretatio naturae und den Hinweis
6 Karl Wenger: Drieschs Weg von der Biologie zur Metaphysik. Eine forschungs¬
geschichtliche Anaylse. Wien 1949 (Dissertation), S. 6 und 7.
7 Ebenda, S. 39.
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