Ulrich Schöndorf er
Hans Drieschs philosophisches Werk
Man hat Hans Driesch mit Recht einen der wenigen universalen
Denker unserer Zeit genannt1. Sein Werk umfaßt fast den ganzen
philosophischen Bereich von den logischen und erkenntnistheoreti¬
schen Grundfragen bis zu den „höchsten metaphysischen Problemen“
und den Einzelfragen konkreter Ethik. Mit strengem Methoden¬
bewußtsein verband Driesch die Kraft schöpferischer Synthese, und
so schuf er ein philosophisches Werk von seltener Geschlossenheit
und einer Fülle „unverlierbarer Beiträge“2 zur perennen Entwicklung
der Philosophie.
Hans Driesch kam wie viele bedeutende Denker des letjten Jahr¬
hunderts aus der Problematik seiner einzelwissenschaftlichen For¬
schung zur Philosophie. „Meine Philosophie ist von dem Bestreben,
biologische Probleme gedanklich zu bewältigen, ausgegangen, denn
ich war zwanzig Jahre Zoologe“, schreibt er am Beginn seiner vor¬
bildlich klaren Selbstdarstellung3. Er war in jener entscheidenden
Zeit Zoologe und Schüler Ernst Haeckels geworden, in der die darwi-
nistische Biologie glaubte, mit ihren unexakten Kategorien und dem
Zauberwort „Entwicklung“ alle biologischen Probleme lösen zu kön¬
nen. Es zeugt von früher geistiger Selbständigkeit des jungen Zoo¬
logen, daß er bald erkannte, „wie bedenklich es mit der Sicherheit
der Stammbäume, ja mit der biologischen Methodik“4 des Darwinis¬
mus überhaupt bestellt war, und daß „die vermeintlichen Problem¬
lösungen Vererbung und Anpassung“ durch exakte experimentelle
Untersuchung erst erwiesen werden mußten. Und so wendet er sich
der von Wilhelm Roux begründeten experimentellen Entwicklungs¬
physiologie zu und findet in ihr „zwar weniges, aber exaktes Wissen“5
und Ansätze zu exakter Methodik. Er ließ sich nicht durch Haeckels
Spott über die „Querschnittler“ und Anilinfärber und die überflüssige
1 D. Andreas Hecht in seinem schönen Beitrag über Hans Driesch in W. Durant:
Die großen Denker, Zürich 1947, S. 443.
2 Aloys Wenzl: Hans Drieschs philosophisches Erbe im 30. Jahrbuch der Schopen-
hauergesellschaft, Heidelberg 1943, S. 196.
3 Hans Driesch: Mein System und sein Werdegang in: Die deutsche Philosophie
der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Band 1, Leipzig 1921, S. 43.
4 Ebenda, S. 1.
5 Ebenda, S. 2.
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