Full text: Hans Driesch

kann nicht erörtert werden, wie weit und in welchem Sinne es be¬ 
rechtigt ist, innerhalb der Atomphysik von Undeterminiertheit zu 
sprechen. Wie dem sein möge: die Sonderart des Lebens wird noch 
nicht dadurch verständlich, daß man es auf akausale Vorgänge im 
Bereich der Atome zurückbezieht. Organisches Werden ist nicht durch 
die negative Tatsache gekennzeichnet, daß es frei wäre vom Zwang 
strenger Verursachung. Es ist vielmehr in anderer Weise determiniert, 
als dies mechanistisch bestimmte Abläufe sind. Das Lebensgeschehen 
erweist sich wohl in der eigentlichen Bedeutung des Wortes als 
„gesteuert“; jedoch in einem Sinne, den Jordan offenbar nicht meint, 
wenn er dieses Wort verwendet. Unter Jordans atomphysikalischen 
Voraussetzungen könnte man vielleicht annchmen, daß entelechiale 
Mächte sich eines gegebenen Spielraumes bedienen, um nach ihrem 
Gese§ organische Gestaltungen Wirklichkeit werden zu lassen. Diese 
Möglichkeit hat zum Beispiel Aloys Wenzl in Betracht gezogen. Jeden¬ 
falls ist die Steuerung organischer Prozesse — wie dieser Begriff be¬ 
reits sagt — allemal zielgerichtet. 
Dies wäre, folgerichtig weiter gedacht, auch das Ergebnis von 
Überlegungen, die Erivin Schrödinger in jüngster Zeit mitgeteilt hat. 
Sie gründen sich auf ähnliche physikalische Beobachtungstatsaehen 
wie die, von denen Jordan ausgeht. Jedoch werden diese Tatsachen 
durch Schrödinger unter einem anderen Gesichtspunkt ausgewertet. 
Audi er geht davon aus, daß fast alle Ordnung in der Welt des An¬ 
organischen als das Ergebnis einer großen Zahl ineinander spielender 
angeordneter Elementarvorgänge betrachtet werden müsse. Erst aus 
ihrem Zusammenwirken erwächst das, was wir Gesetzmäßigkeit nen¬ 
nen. Als Beispiel hierfür nennt Schrödinger das Gesetz der Diffusion. 
Es besagt, daß zwei Flüssigkeiten, in denen der gleiche Stoff in ver- 
sdiiedener Konzentration gelöst ist, zusammengeschüttet, in kurzer 
Zeit eine Lösung von überall gleidier Konzentration ergeben. Dann 
haben sich die Moleküle gleichmäßig verteilt, obwohl jedes einzelne 
Molekül in seinem Kurs vom Zufall bestimmt wurde. Die hier zum 
Ausdrude kommende Gesetzmäßigkeit beruht darauf, daß ungeheuer 
viele Moleküle an einem solchen Vorgang beteiligt sind. Nun madit 
Schrödinger weiter darauf aufmerksam, daß sich die organische Ma¬ 
terie in entscheidender Weise anders verhält. Er weist hier vor allem 
auf Verhaltens- und Wirkensweise der Chromosomen im Zellkern 
hin, die den Ablauf der individuellen Entwicklung bestimmen. Ihre 
Zahl, ihre Anordnung und ihr Aufbau bis hinab in seine molekulare 
Gliederung sei bei jeder Lebensform in jeweils typischer Weise ge¬ 
nauestem festgelegt. Dieses Grundmuster wird durch die befruchtete 
Eizelle, beginnend mit ihrer ersten Teilung, durch immer neue Zell¬ 
teilungen an sämtliche Körperzellen und über die Fortpflanzungs¬
	        
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