Full text: Hans Driesch

Begriffe der Ganzheit und der Summe hat. Die makrophysikalische 
Wirklichkeit ist eine Summe, d. h. eine Mannigfaltigkeit ohne inne¬ 
ren Zusammenhang — ein Haufen von Sandkörnern, eine chaotische 
Verteilung von Himmelskörpern sind Musterbilder solcher Sum¬ 
men — oder ein System, dessen Beständigkeit und dessen Verän¬ 
derungen Resultanten aus den Kraftbeziehungen zwischen den 
Teilen sind; sind diese aufeinander einheitlich abgestimmt, auf einen 
sinnvollen Effekt hin, so liegt eine Maschine vor. So ist es, wenn 
wir die Beziehungen materieller Körper im Großen betrachten. Aber 
die Makrogebilde sollen sich ja selbst aus Elementarbausteinen zn- 
saminenseljen und ihnen gegenüber sind sie in gewisser Beziehung 
doch noch mehr als Summe und System; die Aktualisierung der 
Elementarteilchen und ihre Bahnen werden durch ein ihnen über¬ 
geordnetes Ne$ von Wahrscheinlichkeitsbedingungen bestimmt und 
aus diesen ergibt sich für eine große Zahl erst das makrophysika¬ 
lische Gese§; durch die Wirksamkeit dieser Wahrscheinlichkeits- 
gese^e ist der materielle Körper im Großen also dennoch mehr als 
nur eine Summe von Elementarbausteinen. Man könnte sagen, die 
Elemente unterstehen einer übergeordneten Führung, die sie we¬ 
nigstens an einen Wahrscheinlichkeitsrahmen bindet, einer Art 
materieller „Entelechie“ also, wir wollen das Wort wagen, oder 
eines Kollektivwillens, den wir als Träger des Wahrscheinlichkeits¬ 
feldes ansprechen müßten. Atome und Moleküle aber stehen zwischen 
Elementarteilchen und dem makrophysikalischen Gebilde, sie sind 
echte Gestalten aus den Elementen, die in ihnen auf eine besondere 
Weise verbunden sind, ohne daß sie darum völlig ihren Spielraum 
verlören und maschinenhaft gebunden wären47. 
Eine Analogie mit dem Reich des Lehens liegt nun nahe: 
Anorganisches Reich 
Organisches Reich 
individuelle Elementarteilchen 
überindividuelle Wahrscheinlich¬ 
keitsfelder („Materieentelechie“) 
echte Ganzheiten (Atom, Molekül) 
Zellen als elementarste organische 
Ganzheiten 
allgemeinste Lebensentelechie als 
Bildnerin organischer Substanz 
vielzellige Organismen 
makrophysikalische Gebilde: 
Maschinen 
resultantenhafte Systeme 
Haufen, Summen 
makrobiotische Gebilde: 
Tierstaaten, Symbiose 
Wechselwirkungen im 
„Haushalt“ der Natur 
Massen 
47 Es empfiehlt sich, noch weiter zu gehen: Atome und Moleküle sind Gebilde, 
Ganzheiten, in denen die Elemente nicht mehr (oder noch nicht) in voller In¬ 
dividualität, sondern erst oder nur in einer Potentialität oder doch in einem 
Zwischenzustand zwischen individueller Aktualität und Potentialität sind. 
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