stehen. Der einfachste Fall ist die Beziehung der Ähnlichkeit von
Figuren; 3. die bekannte metrische Geometrie, die Maßgeometrie,
in der es nicht nur auf die Gestalt, sondern auch auf die Größe an¬
kommt; die Kongruenz ist die bekannteste Beziehung dieser Art.
Die drei Betrachtungsweisen stellen eine Folge zunehmender Deter-
ininierung dar. Wir können nun sagen: die Morphogenese erfolgt
zunächst im Sinne einer Schaffung topologischer Platjanweisung und
schreitet fort zu deren Ausgestaltung einerseits in Richtung zu¬
nehmender Differenzierung, anderseits zunehmender Annäherung
der Formen an die des fertigen Organismus und schließlich in ge¬
wissen Grenzen bis zu spezifischen Maßverhältnissen. Erfolgt ein
Eingriff vor der entscheidenden Platjanweisung und dem Einsatz
entsprechender Gestaltung, so erweist sich die Substanz noch völlig
bildsam, „totipotent“. Ist die topologische Anweisung schon bis zu
einem gewissen Grade der Bereicherung fortgeschritten, so erscheint
nur noch innerhalb der noch vorhandenen Unbestimmtheit eine
Multipotenz gegeben. Ist es bereits zu einer Bestimmung der Potenz
gekommen, so ist das Material nur mehr für diese brauchbar. Die
Entwicklung vollzieht sich also wie alles psychische und insbeson¬
dere alles künstlerische Schaffen vom Allgemeineren zum Bestimm¬
teren bei gleichzeitiger Bereicherung — gerade so wie das mensch¬
liche Denken, das Erinnern und das Werden künstlerischer Gebilde
auch. Dies ist die Analogie zum Psychischen hin. Es gibt aber auch
eine Analogie zum Physikalischen hin: Die Physik spricht von, wir
könnten sagen, platjanweisenden Wahrscheinlichkeitswellen, Ma¬
teriewellen, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit, also immateriell
ausbreiten und die dadurch das künftige Schicksal des Auftretens
der Materie in großen Zügen zunächst vorwegnehmen. Anderseits
erinnert die Entwicklung an eine zunehmende Organisation mit
Arbeitsteilung. Das ist ja der Leitgedanke, der vielfach zu der Hy¬
pothese führte, daß der vielzellige Organismus sich wie ein Zellstaat
gebildet habe. Allein dieser Vergleich ist doch recht fragwürdig.
Nicht nur, daß die eigentlichen Organismen, die Vollgestalten doch
auch hier die Individuen sind: für den Staat fehlt die eigentliche
Gestalt, der Bienenstaat z. B., der Ameisenstaat usw. erscheint eher
wie eine Organisation durch Rückbildung der Individuen und mehr
wie ein Spätprodukt denn als ein Frühprodukt der Entwicklung,
eher wie die — in Oswald Spenglers geschichtsphilosophischer
Sprache ausgedrückt — zivilisatorisch-cäsaristische Spätphase, denn
als die der Bildung lebendigen „Kultur“ vorausgehende.
Jedenfalls, die Epigenese vollzieht sich also im Sinne fortschrei¬
tender Beauftragung, sie schreitet „organologisch“ fort. Damit grei¬
fen wir die originelle „Organologie“ auf, die 0. Feyerabend in
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