Full text: Hans Driesch

Wenn aber völlig uneinsichtig und ein Geheimnis, wie kann man 
dann die Ablehnung einer finalen Erklärung, einer Zielstrebigkeit 
rechtfertigen? Es kann sich doch dann wiederum nur um ein non 
liquet handeln: wir müssen ganzheitliche, an bestimmte Ordnungen 
spezifisch gebundene Gesetze annehmen, aber wir wagen nicht zu 
entscheiden, ob diese sinnhaft sind. 
Aber können wir das wirklich nicht entscheiden? Können die 
Drieschschen und Spemannschen Experimente noch verstanden wer¬ 
den aus nur ganzheitlichen, aber nicht zielstrebigen Gesehen? Wenn 
schon die Teilung der für die spätere Entwicklung maßgebenden, 
selbst aber nicht präformierenden Erbträger ein Geheimnis ist, so 
dürfen wir nicht verkennen, daß es mit der Teilung ja noch nicht 
getan ist, es kommt zu ihr die Formbildung, die eben nur geleistet 
werden könnte, wenn die Form präformiert ist, was nicht der Fall 
ist; insofern bleibt das Drieschsche experimentelle Argument gültig. 
Über die Formbildung hinaus aber müßten wiederum die ganzheit¬ 
lichen Gesetze sich dahin auswirken, daß Organe entstünden, die dem 
Erleben und die der Reaktion auf als bedeutungshaltig erfaßte 
Reize zugedacht sind. Dafür aber reichen Gesetje, die auf Grund 
einer bloßen, sehr komplexen Anordnung auftreten sollen, grund¬ 
sätzlich nicht mehr aus. Eine organismische Betrachtung müßte im 
Deskriptiven bleiben; sobald sie der ihr immanenten Aufforderung 
zu einer Erklärung folgt, kommt sie an der Alternative: Zielstrebig¬ 
keit oder nicht, also Vitalismus oder erweiterter Physikalismus, 
nicht vorbei. 
Diejenigen Entwicklungen aber, die den Anreiz gegeben haben zu 
einer grundsätzlichen Wiederaufrollung des Problems, sind auf 
physikalischem Gebiet die Quantenmechanik, auf biologischem die 
Genetik19. Wir wenden uns daher zunächst der mikrophysikalischen 
Entwicklung zu. 
3. Die neue Lage durch die Entwicklung der Mikrophysik 
Seit Driesch den Neuvitalismus begründet hat, hat sich das Ge¬ 
sicht der Physik so sehr gewandelt, daß wir, auch um später darauf 
zurückgreifen zu können, in diesen Übergangsbetrachtungen diesen 
Entwicklungen eine besondere Betrachtung widmen müssen. Die 
letzten 30 Jahre sind in steigendem Maße dem Atomproblem gewid¬ 
19 Man weist gelegentlich auch auf technische Entwicklungen hin (F. Dessauer), 
aber die Einwände, die sich hieraus ergeben, betreffen nur eine definitorische 
Verfeinerung der vitalistischen Terminologie. Die sich selbst steuernden und 
regulierenden Maschinen reagieren nur in von uns vorbestimmter Weise auf von 
uns vorgesehene Situationen. 
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