Wenn aber völlig uneinsichtig und ein Geheimnis, wie kann man
dann die Ablehnung einer finalen Erklärung, einer Zielstrebigkeit
rechtfertigen? Es kann sich doch dann wiederum nur um ein non
liquet handeln: wir müssen ganzheitliche, an bestimmte Ordnungen
spezifisch gebundene Gesetze annehmen, aber wir wagen nicht zu
entscheiden, ob diese sinnhaft sind.
Aber können wir das wirklich nicht entscheiden? Können die
Drieschschen und Spemannschen Experimente noch verstanden wer¬
den aus nur ganzheitlichen, aber nicht zielstrebigen Gesehen? Wenn
schon die Teilung der für die spätere Entwicklung maßgebenden,
selbst aber nicht präformierenden Erbträger ein Geheimnis ist, so
dürfen wir nicht verkennen, daß es mit der Teilung ja noch nicht
getan ist, es kommt zu ihr die Formbildung, die eben nur geleistet
werden könnte, wenn die Form präformiert ist, was nicht der Fall
ist; insofern bleibt das Drieschsche experimentelle Argument gültig.
Über die Formbildung hinaus aber müßten wiederum die ganzheit¬
lichen Gesetze sich dahin auswirken, daß Organe entstünden, die dem
Erleben und die der Reaktion auf als bedeutungshaltig erfaßte
Reize zugedacht sind. Dafür aber reichen Gesetje, die auf Grund
einer bloßen, sehr komplexen Anordnung auftreten sollen, grund¬
sätzlich nicht mehr aus. Eine organismische Betrachtung müßte im
Deskriptiven bleiben; sobald sie der ihr immanenten Aufforderung
zu einer Erklärung folgt, kommt sie an der Alternative: Zielstrebig¬
keit oder nicht, also Vitalismus oder erweiterter Physikalismus,
nicht vorbei.
Diejenigen Entwicklungen aber, die den Anreiz gegeben haben zu
einer grundsätzlichen Wiederaufrollung des Problems, sind auf
physikalischem Gebiet die Quantenmechanik, auf biologischem die
Genetik19. Wir wenden uns daher zunächst der mikrophysikalischen
Entwicklung zu.
3. Die neue Lage durch die Entwicklung der Mikrophysik
Seit Driesch den Neuvitalismus begründet hat, hat sich das Ge¬
sicht der Physik so sehr gewandelt, daß wir, auch um später darauf
zurückgreifen zu können, in diesen Übergangsbetrachtungen diesen
Entwicklungen eine besondere Betrachtung widmen müssen. Die
letzten 30 Jahre sind in steigendem Maße dem Atomproblem gewid¬
19 Man weist gelegentlich auch auf technische Entwicklungen hin (F. Dessauer),
aber die Einwände, die sich hieraus ergeben, betreffen nur eine definitorische
Verfeinerung der vitalistischen Terminologie. Die sich selbst steuernden und
regulierenden Maschinen reagieren nur in von uns vorbestimmter Weise auf von
uns vorgesehene Situationen.
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