Full text: Über die Freiheit

rieb sich ständig an seinen Nachbarn, oder sie rieben 
sich an ihm. So durch die Notwendigkeit gegenein¬ 
ander getrieben, bekämpften oder bedrohten sie sich 
unaufhörlich. Diejenigen, die nicht erobern wollten, 
konnten die Waffen nicht weglegen, weil sie sonst 
Gefahr liefen, erobert zu werden. Ihre Sicherheit, 
ihre Unabhängigkeit, ihr ganzes Dasein erkauften sie 
alle um den Preis des Krieges. Ihm galt ihre dauernde 
Aufmerksamkeit, er bildete beinahe die Gewohn¬ 
heitsbeschäftigung der freien Staaten des Altertums. 
Ein ebenfalls notwendiges Ergebnis einer solchen Le¬ 
bensweise war schliesslich der Umstand, dass sich 
alle diese Staaten Sklaven hielten. Das Handwerk 
und bei einigen Völkern sogar das Gewerbe waren 
kettenbeschwerten Händen anvertraut. 
Die moderne Welt bietet uns ein vollständig an¬ 
deres Schauspiel. Die kleinsten Staaten unserer Tage 
sind unvergleichlich viel grösser als Sparta oder als 
Rom in den ersten fünf Jahrhunderten seines Be¬ 
stehens. Dank dem Fortschritt der Bildung ist Eu¬ 
ropa nicht eigentlich, sondern scheint bloss in ver¬ 
schiedene Staaten aufgeteilt. Während früher jedes 
Volk eine vereinzelte Familie, einen geborenen Feind 
der andern Familie bildete, gibt es jetzt unzählig 
viele Menschen, die zwar unter verschiedenem Na¬ 
men und unter verschiedenartigen Gesellschaftsfor¬ 
men leben, die sich jedoch ihrem Wesen nach glei¬ 
chen. Sie sind so stark, dass sie sich vor barbarischen 
Horden nicht zu fürchten brauchen; sie sind so ge¬ 
bildet, dass sie den Krieg verabscheuen; sie wünschen 
alle den Frieden zu bewahren. 
3 Constant, Freiheit 
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