Angriffe, bis sie schliesslich einen vollständigen Sieg
erringen, der um so bedeutender erscheint, als er
ihnen sehr lange streitig gemacht worden ist.
Wenn die Religion schon im gleichen Schritt mit
dem Geist vorwärtszuschreiten verlangt, so entspricht
das nicht der Absicht der Geistlichkeit; denn ihre
Stärke beruht auf der Unwandelbarkeit der Glau¬
benslehren und ihre Macht wird durch die Ent¬
wicklung erschüttert.
Deshalb hat auch die Geistlichkeit aller Reli¬
gionen zu allen Zeiten den Begriff der Veränderung
und den Versuch oder auch nur die Hoffnung auf
eine Verbesserung mit dem Bannfluch belegt. Wir
brauchen unsere Leser nur an die ägyptischen Priester,
an die Bischöfe des alten Rom und an die christliche
Geistlichkeit bis zur Reformation zu erinnern.
Obwohl der Protestantismus mit der von uns ver¬
kündeten Wahrheit übereinstimmte und er seine
Lostrennung nur dadurch rechtfertigen konnte, dass
er diese Wahrheit in ihrer ganzen Ausdehnung an¬
erkannte, ist er selber von Anfang an offensichtlich
davon abgewichen. Nachdem er die Gesetzmässig¬
keit der freien Prüfung gefordert hatte, wollte er
sich die freie Prüfung als ausschliessliches Recht
aneignen, und während die katholische Kirche ihren
Gläubigen sagte: «Glaubet, aber prüfet nicht!»,
sprach der Protestantismus zu den seinigen lange
Zeit: «Prüfet, aber glaubet, wie wenn ihr gar nicht
geprüft hättet!» Gewiss war bei diesen beiden Arten
des Denkens die katholische Kirche der protestanti¬
schen überlegen.
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