Auch die Kulturpolitik im engeren Sinne entwickelte sich zu einer tragenden
Säule der Demokratisierungs- und damit der neuen französischen Sicherheits¬
politik.2“ Ältere Interpretationen, denen zufolge die Kulturpolitik nur die Härten
einer auf Ausbeutung abzielenden französischen Wirtschaftspolitik übertünchen
sollte (Theodor Eschenburg, Klaus-Dietmar Henke), spielen in der neueren wissen¬
schaftlichen Forschung keine Rolle mehr. Die flächendeckende Einführung franzö¬
sischen Fremdsprachenunterrichts sollte die Saarländer nicht nur auf die zukünfti¬
gen Anforderungen der Berufswelt in der Wirtschaftsunion mit Frankreich
vorbereiten, sondern auch deren Zugang zu den kulturellen Leistungen der
Französischen Revolution ermöglichen. Die saarländische Universität - 1948 von
Gilbert Grandvat praktisch auf eigene Faust und ohne Absprache mit Baden-Baden
oder Paris gegründet - sollte von preußisch-deutschen Bildungstraditionen un¬
abhängige saarländischen Eliten ausbilden, welche die Zukunft des teilautonomen
Saarstaates künftig eigenständig leiten würden. Die - später als besonders symbol¬
trächtig empfundene - Gründung der Schule für Kunst und Handwerk sollte nach
französischem Vorbild und bei gleichzeitigem Rückgriff auf die deutschen
Werkbund-Traditionen einen Brückenschlag zwischen künstlerischer und gewerb¬
licher Betätigung leisten. Hier lehrten einige der bedeutendsten zeitgenössischen
Künstler wie zum Beispiel die Maler Boris Kleint und Frans Masereel und der
Begründer der subjektiven Fotographie Otto Steinert. Die Saarbrücker Moderne
Galerie erhielt im Zuge der französischen Kunstpolitik eine der bedeutendsten
Sammlungen expressionistischer Malerei. Kunstausstellungen, für welche die
Baden-Badener Militärregierung einen eigenen, fachlich hochkarätig besetzten
Service des Beaux-Arts eingerichtet hatte, fanden in ganz Deutschland und sogar
noch in Wien großen Widerhall (Martin Schieder). So wurde die Kunstpolitik, die
den Deutschen und den Saarländern wieder einen offeneren Blick auf die Welt
vermitteln sollte, zum festen Bestandteil französischer Demokratisierungs¬
bestrebungen. Nur eine derartige Einbindung der Kultur- in die Sicherheitspolitik
konnte den Einsatz der dafür erforderlichen hohen finanziellen Mittel rechtfertigen.
An der Saar wiesen diese kulturpolitischen Maßnahmen noch über die im übrigen
Deutschland verfolgte Strategie hinaus, verband die französische Verwaltung damit
doch die Hoffnung, die Saarländer für eine enge und langfristige Kooperation mit
Frankreich gewinnen zu können, wie sie in der ersten amtlichen Saardirektive vom
August 1945 unter den Begriff der „Assimilation“ angestrebt worden war.20 21
Doch erlitt die französische Saarpolitik auch in diesem Bereich teilweise gravie¬
rende Niederlagen. Insbesondere die französische Wiederaufbau- und Städtepla¬
nung sah sich mit massiven Widerständen konfrontiert und konnte daher allenfalls
ansatzweise realisiert werden - wobei es den Konzepten Le Corbusiers in Frank¬
20 Vgl. Quelle Nr. 55.
21 Vgl. Quelle Nr. 5.
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