wichtige und inzwischen genau erforschte Bereiche der französischen Politik aus
der Interpretation ausgeblendet werden.
Wenngleich sie nicht alleine ausschlaggebend waren, so beeinflussten vor allem
anfangs auch personelle und konzeptionelle Kontinuitäten die französische Saar¬
politik. Personen, die bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren Verantwortung
für die französische Politik an der Saar getragen hatten, boten ihre Sach- und
Ortskenntnis an. Dazu gehörte der frühere französische Generalkonsul an der Saar,
Abel Verdier, ebenso wie General Joseph Andlauer als früherer Administrateur
supérieur de la Sarre.3 Auch schien die Möglichkeit zur Anknüpfung an alte Kon¬
zepte durchaus gegeben. Bot nicht die kulturelle Nähe zu Frankreich immer noch
Ansatzpunkte, um das - nach französischer Wahrnehmung - aufgezwungene
„preußische“ Gedankengut zurückzudrängen? Und war das wirtschaftliche Poten¬
zial der Saar trotz aller Kriegszerstörungen nicht immer noch attraktiv - zumal die
symbiotische Beziehung zum lothringischen Industrierevier im Krieg durch die
Propaganda führender Industrieller wie Hermann Röchling pointiert heraus¬
gearbeitet und nach der faktischen Annexion Lothringens durch das Deutsche
Reich mit dessen Ausbeutung für die deutsche Kriegswirtschaft unter Beweis
gestellt worden war?4 So zählte die Aufarbeitung der Saarfrage zu den Problemen,
die von Beginn an mit starken Vorurteilen und unvereinbaren Erwartungshaltungen
verbunden waren.
Die Saarpolitik der „ verspäteten Siegermacht“
Eindeutige Richtlinien oder gar präzise ausformulierte mittelfristige Konzepte für
die künftige Saar-Politik lieferte die allgemeine deutschlandpolitische Diskussion
in Frankreich nicht. Die noch während des Zweiten Weltkrieges im algerischen
Exil ausgearbeiteten Pläne für eine neue Deutschlandpolitik wurden unter den sich
schnell wandelnden Verhältnissen und Rahmenbedingungen der Folgezeit einer
grundlegenden Überprüfung unterzogen.5 In der Besatzungszone stellte sich Frank¬
reich seiner Verantwortung. Der Gestaltungsspielraum der Besatzungsmacht ent¬
puppte sich sehr schnell als Chance für eine Sicherheitspolitik, die auf Kontrolle
und Kooperation, Entnazifizierung und Rééducation, Reparationen und Wiederauf¬
bau gleichermaßen beruhte und sich mittelfristig sogar als wirksamer erwies als die
anfänglichen Konzepte. So bestand ein wichtiges Ziel gegenüber den anderen Be¬
satzungsmächten darin, die bestehenden Mitbestimmungs- und Handlungsspiel¬
räume zu verteidigen und neue zu gewinnen. Die politische und später auch die
wissenschaftliche Interpretation der französischen Deutschlandpolitik wurden da¬
3 Vgl. Quelle Nr. 1.
4 Vgl. Quelle Nr. 2.
5 Vgl. Quelle Nr. 4.
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