Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464)

künstlerischen Möglichkeiten des Kupferstichs setzte sich der Herpin-Meister kreativ aus¬ 
einander, indem er die ästhetischen Prinzipien der Graphik des 15. Jahrhunderts auf die 
Zeichnungen übertrug. Einige Motive wurden durch exakte Nachzeichnungen übermit¬ 
telt, so dass der Herpin-Meister, wie zu jener Zeit nicht ungewöhnlich, ein eigenständiges 
Motivrepertoire daraus entwickelte, indem er sich von Details löste und Variationen 
schuf. 48 
Aus dem Œuvre Wolfgang Beurers, der fränkisch geschult war, 40 übernahm er einige 
Motive als Vorlagen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Herpin-Zeichner 
einige Zeit in Beurers Werkstatt tätig war oder seine Werke genau studierte. Nach derzei¬ 
tigem Kenntnisstand ist festzustellen, dass der Herpin-Meister sein Motivrepertoire durch 
Adaption und Variation anreicherte. So ist eine Mischung aus Motiworlagen der Werk¬ 
statt Wolfgang Beurers und Michael Wolgemuts festzustellen; eine indirekte Beeinflussung 
mittelrheinischer Kunst durch die Kupferstiche, die am Ende des 15. Jahrhunderts reflek¬ 
tiert und in Variation wieder verwendet wurden. Dennoch sind seine Bildschöpfungen im 
Wesentlichen eigenständig, da die Geschichte um den Herzog aus Bourges keinerlei Bild¬ 
tradition in Deutschland vorzuweisen hat. Doch auch bei den religiösen Themen fallen 
der große Ideenreichtum und die Vorliebe für Figuren in ungewöhnlicher Perspektive auf. 
Ob es eine Handschrift gab, die ihm als Vorlage gedient haben könnte, bleibt ungewiss. 
Bis heute bleibt die Identifizierung des Auftraggebers und Zeichners ein ungelöstes 
Rätsel. Da der Text keinerlei Hinweise gibt, hat die Forschung ohne Erfolg versucht, 
durch das einzige abgebÜdete Wappen die Handschrift zu lokalisieren. M Neben den kodi- 
kologischen Hinweisen indizieren die Illustrationen der Berliner Herpin-Handschrift (Ber¬ 
lin, Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 464) eine Entste¬ 
hung im fränkischen Raum um Nürnberg. Mit Hilfe einer gründlichen Analyse der Berli¬ 
ner Herpin-Handschrift und der Zusammenstellung aller zum ,Herpin4 gezeichneten Bild¬ 
motive ist nun eine komparatistische Betrachtung der unterschiedlichen Illustrationspro¬ 
gramme und Bildmotive möglich. 
Kat.Nr. 56, S. 176). 
748 Vgl. hierzu auch BUCK 2012, S. 90 und ROTH 2010, S. 353—371. 
749 Brinkmann 1995, S. 165. 
750 Vgl. S. 79£, Anm. 386. 
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