der Berliner Herpin-Handschrift mitgewirkt haben, kann in letzter Konsequenz nicht hin¬
reichend beantwortet werden. Der Aufbau der Miniaturen, die Zeichentechnik und die
Proportionen sowie die Physiognomie der Figuren sind relativ homogen, sodass keine
eindeutige Hände Scheidung innerhalb der Illustrationen verifiziert werden kann. Ange¬
sichts der reichen Bebilderung in der Handschrift ist die abnehmende Detailgenauigkeit
nicht erstaunlich, denn Ermüdung oder Zeitnot könnten hier eine ausschlaggebende Rolle
gespielt haben.
Zahlreiche Anhaltspunkte für die Entstehung der Handschrift verweisen auf die Region
Franken, und hier besonders auf den Raum um Nürnberg: Neben sprachlichen und kodi-
kologischen Hinweisen wie ostfränkisch gefärbter, frühneuhochdeutscher Dialekt und das
Wasserzeichen im Papier erlauben es die motivischen und stilistischen Eigenheiten, die
Berliner Herpin-Handschrift einem Zeichner aus dem Umkreis der Nürnberger Malerei
zuzuordnen. So machte der Zeichner in der Herpin-Handschrift bei der Darstellung der
Landschaft keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Vegetationen, sondern blieb
bei der ihm vertrauten Naturdarstellung. Auch die unverkennbaren, abstrahierten Bäume
und kreisrunden Sträucher sind spezifisch für den Herpin-Meister: Die so genannten
Ösenbäume, kreisrunde Büsche und Bäume sind die Grundelemente für die landschaftli¬
che Gestaltung der Bildmotive. Sie sind ein Motiv, das der Zeichner aus dem Repertoire
Wolfgang Beurers übernommen hat. Außerdem sprechen für die fränkische Region einige
Motive, die sich einer besonderen Beliebtheit in der fränkischen Malerei erfreuten: Der an
Knochen schnüffelnde Hund und das t-förmige Kreuz sind charakteristisch für fränkische
Kalvarienberg-Darstellungen. Auch Besonderheiten der fränkischen Landschaftsmalerei
übernahm der Zeichner für seine Bildkompositionen: die schroffen, kantigen Felsen mit
Überhängen sind häufig mit Vegetation bewachsen. Auch liegen die silhouettenhaft ge¬
zeichneten Städte in der Ferne meist an einem Hügel und Gewässer. Entsprechend wurde
häufig auch die Stadt Nürnberg so dargestellt.
Zeichentechnik und Strichführung der Erlanger Zeichnungen, 46 der New Yorker Kal¬
varienberg-Darstellung und der Nürnberger Malerei um Hans Pleydenwurff und Michael
Wolgemut sind mit denen in der Berliner Handschrift identisch: Besonders die Gewand¬
modellierung mit Falten, deren Enden in Ösen auslaufen, Faltenstege, die unmodelliert
bleiben, und Schattenpartien, die mit Kreuzschraffur verdichtet sind. Die Konturlinie der
abgeschatteten Seiten ist verstärkt, die lichten Seiten hingegen sind mit durchbrochenen
Federstrichen konturiert. Ein Pendant zu den verschieden intensiv schraffierten Rück¬
wänden der Handschriftillustration findet sich in der kleinformatigen Zeichnung des
Zwölfjährigen Christus im Tempel (Abb. 95) des Waldburg-Wolfegger Klebebandes.
Dem widerspricht auch nicht, dass einige Büdmotive aus dem Œuvre des Zeichners auf
Kupferstiche von Martin und Ludwig Schongauer zurückgehen, da diese um die Mitte des
15. Jahrhunderts allgemein als Vorlagen in den Werkstätten verwendet wurden.74 Mit den
746 Vgl, hierzu die Zeichnungen des hl. Christophorus (Kapitel 7.1.1., S. 130—132) und die beiden zusam¬
mengehörigen Altarskizzen (Kapitel 7.1.1., S. 132—134).
747 „Die Erfindungen des Schongauer-Kreises, der in Colmar, Basel, Augsburg, Ulm, Wien, Nürnberg und
Leipzig Stützpunkte hatte, sind offenbar mit großer Geschwindigkeit ausgetauscht worden. Dies hat er¬
heblich zur Vereinheitlichung der Malerei in Deutschland nach 1470 beigetragen.“ (SlICKALE 2009,
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