Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464)

8. Resümee 
Für die drei deutschen Handschriftenüberlieferungen der ,Historie von Herzog Herpin 
und seinem Sohn Lewe4 gibt es weder eine gemeinsame textliche noch eine bildliche Vor¬ 
lage. Die unterschiedlichen Illustratoren generieren neue Bilderzyklen. 34 Auch im Ver¬ 
gleich mit der französischen Handschrift (Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. 
fr. 351), in der insgesamt zwölf Miniaturen den Text bebildern, kann eine Vorlagenrolle 
für die Berliner Version ausgeschlossen werden. 35 Die Entstehung der Bilder der Berliner 
Herpin-Handschrift fällt mit der Datierung um 1487 in jene Zeitspanne, in der Hand¬ 
schriften und gedruckte Bücher im Zuge des Buchdrucks nebeneinander existierten und 
sich gegenseitig beeinflussten. 1(1 
Die Chansons-de-geste-Vorlage könnte Elisabeth von Nassau-Saarbrücken bei ihrer 
Hochzeit mit Philip I. von Nassau-Saarbrücken aus ihrer französischen Heimat Lothrin¬ 
gen mitgebracht haben. In der Subscriptio der Hamburger Loher und Malier- 
Handschrift 1 (Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 11 in scrino) wird sie 
als Autorin benannt und ihre Mutter Margarete von Vaudémont als Vermittlerin der Ori¬ 
ginaltexte. Inwieweit Elisabeth an der Übersetzung selbst beteiligt war oder eine Gemein¬ 
schaftsleistung vorliegt, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden. 3s Die vier Übersetzun¬ 
gen wurden im höfischen Umfeld Elisabeths zu einem zusammengehörigen Corpus ver¬ 
bunden und mindestens drei Generationen ihrer Familie waren an der Handschriftenüber¬ 
lieferung der Erzählungen beteiligt. Die Adaptionen stellen ein Verbindungsstück zwi¬ 
schen Chansons-de-geste und Prosaroman dar. Eine textliche Abhängigkeit unter den 
Handschriften ist auszuschließen, sodass von einer oder mehreren deutschen Prosavorla¬ 
gen divergierende Textversionen bearbeitet wurden. 
Die Einzel texte der französischen Vorlagen waren ursprünglich kein zusammenhän¬ 
gender Zyklus; erst Elisabeth verband sie über eine genealogische Chronologie, sodass 
folgende Reihenfolge für die vier Erzählungen besteht: ,Herpin4, ,Sibille4, ,Loher und Mal¬ 
ler4 und ,Huge Scheppel4. 39 
Über Herkunft und mögliche frühere Aufbewahrungsorte der Berliner Handschrift ist 
wenig bekannt. Für die Provenienz der Handschrift konnten folgende Punkte ergänzt 
werden: Im 18. Jahrhundert sah der Bibliotheksreisende Philipp Wilhelm Gercken in der 
Ansbacher Bibliothek den Codex, den er anschließend in seinen Reiseaufzeichnungen be¬ 
schrieb. 40 Nach der Teilung der Handschriftenbestände der Schlossbibliothek Ansbach 
aufgrund eines Regierungsbeschlusses gelangte die Handschrift zwischen 1805 und 1806 
in die Universitätsbibliothek Erlangen. Bislang ungeklärt bleibt, wie der Codex in den Be- 
734 Siehe hierzu die Tabelle der Bildmotive im Anhang I. 
735 Urtel (URTEL 1905, S. 7 und 23) und Liepe (LlEPE 1920, S. 101) vermuten, dass die angenommenen, 
aber nicht erhaltenen frühen Handschriften Elisabeths von Nassau-Saarbrücken nicht bebildert waren. 
736 Vgl. hierzu AUGUSTYN 2003. 
737 Den wörtlich zitierten Text der Subscriptio siehe Kapitel 2, S. 24, Anm. 130. 
738 Vgl. oben Kapitel 2, S. 25. 
739 Dazu siehe Kapitel 2.5., S. 37-41. 
740 Gercken II 1784, S. 430, Nr. 5 und Kapitel 3.1., S. 44. 
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