Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464)

beider im dreiviertel Profil dargestellten Personen ist vor ein Fenster mit landschaftlichem 
Ausblick0 9 und einen Wandbehang aus rot gemustertem Goldbrokat gestellt, der ein Gra¬ 
natapfelmuster zeigt. Ein ähnliches Ornament mit Granatäpfeln68" wurde in der Herpin- 
Handschrift als Dekoration der Ehrentücher für den Thron des toledanischen und sizilia- 
nischen Königs verwendet (Abb. 15, 27 und 33). Die Hintergründe des Diptychons er¬ 
gänzen sich zu einem einzigen Fenster, dessen Landschaften nicht ohne Brüche ineinan¬ 
der zu verknüpfen sind.679 681 Die unterschiedliche Gestaltung der landschaftlichen Hinter¬ 
gründe bezieht sich auf den Charakter der Porträtierten.682 683 Die Landschaft hinter dem 
Männerbildnis dominiert eine steile Felsformation, auf deren höchstem Punkt eine Burg 
steht. Auf dem Frauenbildnis liegt die Burg an einem ruhigen Gewässer und im Hinter¬ 
grund sind einige Hügel zu sehen. Die einzelnen Landschaftselemente sind sowohl in den 
Monatsdarstellungen der Londoner Handschrift als auch in den Illustrationen zur Ge¬ 
schichte ,Herpins‘ zu finden. Die erwähnten blattlosen Bäume wurden auch in den Jagd¬ 
szenen verwendet: Der dünne Baum mit kreuzenden Ästen auf dem weiblichen Porträt ist 
mit den Bäumen auf den Monatsdarstellungen Februar und Juli verwandt, ebenso mit je¬ 
nen in den Herpin-Illustrationen (beispielsweise Abb. 22, 39, 47, 84 und 90).681 Der Baum 
auf der gegenüber liegenden Landschaft wurde mit kräftigen Ästen konzipiert, bildet aber 
ebenfalls mit den blattlosen Ästen ösenförmige Überschneidungen. Diese Baumform ist 
auf den Monatsdarstellungen Aprü, Juni und Dezember paraphrasiert,684 685 so wie der Ei¬ 
chenbaum, auf dem Herpin Zuflucht sucht (Abb. 5), und der Olivenbaum, unter dem Öl¬ 
baum ausgesetzt ist (Abb. 83 und 85). Auch die steil aufragende Felsformation auf dem 
Porträt des Mannes ist sowohl in den Monatsdarstellungen Januar und Februar als auch 
im Herpin-Codex (Abb. 6, 34 und 90) zu finden: Die schroff kantigen, steüen Felsen, de¬ 
ren obere Enden häufig mit einem heraus stehenden Felsen abschließen. Diese Felsnasen 
sind signifikant für die fränkische Malerei.68' Häufig sind die Kuppen mit Gras und Bäu¬ 
men bewachsen. Die Felsformationen und die kahlen, dünnen Äste, die gegeneinander 
gezeichnet sind und so Ösen bilden, sind charakteristisch für die Landschaftsgestaltung 
tarnummern 334 und 335 aufbewahrt (BRINKMANN 1995, S. 145 und Anm. 1). Zum Materialbestand, zu 
den gemäldetechnologischen Untersuchungen, Beschreibung und kunsthistorischer Einordnung beider 
Gemälde vgl. BRINKMANN/SANDER 1999, S. 27 mit Taf. 8f. und BRINKMANN/Kempderdick 2002, 
S. 346-367. 
679 Der landschaftliche Ausblick hinter Porträtierten verbreitete sich über die Niederlande um 1480 am Mit¬ 
telrhein und in Süddeutschland, vgl. hierzu AUSST.KAT. Der FRÜHE DÜRER, S. 340. 
680 Ein ähnliches Granatapfelmuster weist das Ehrentuch auf dem Porträt eines Jerusalemfahrers in der 
Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid auf (Madrid, Sammlung Thyssen-Bornemisza, Accessionsnr. 
1934.15b; hierzu LÜBBEKE 1991, S. 150-155). 
681 BRINKMANN 1995, S. 146. Die Landschaften sowie der Innenraum waren bis in die 1930er Jahre durch 
einen monoton graugrünen Hintergrund übermalt gewesen. Erst nach Röntgenaufnahmen und Restau¬ 
rierung konnte der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden (BRINKMANN 1995, S. 146 und 
SHESTACK 1971, S. 55 Anm. 7). Abbildungen im unrestaurierten Zustand in WOLTERS 1935, S. 276 und 
Büchner 1927, Abb. 6 und 7. 
682 Brinkmann 1995, S. 146f. 
683 Brinkmann 1995, S. 147. 
684 Brinkmann 1995, S. 147. 
685 SüCKALE 2009, S. 382; HESS 2012, S. 127 und 129 wie auch AUSST.KAT. Der FRÜHE DÜRER, S. 384. 
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