5. Kostümkundliche Aspekte
In der Berliner Herpin-Handschrift sind Kleidung und Haartracht nicht nur ein Medium
zur Darstellung gesellschaftlicher und sozialer Unterschiede,46" sondern sie dienen auch
zur Differenzierung von Personen, die in den Abbildungen mehrmals dargestellt wurden.
Erkennbar sind die einzelnen Handlungsträger besonders durch eine spezifische, selten
abweichende Bekleidung. Bei der Garderobe einzelner Personen ist ausschließlich zwi¬
schen der höfischen Bekleidung und der Rüstung für Turnier oder Kampf beziehungswei¬
se zwischen der weiblichen und der männlichen Kleidung differenziert.
5.1. Höfische Kleidung
Zur Männerbekleidung in der Handschrift ist grundsätzlich festzuhalten, dass die Grunde¬
lemente sich nur marginal voneinander unterscheiden: Der Großteil trägt das taillierte
Wams mit gepufften Schultern oder Beutelärmeln, die teilweise geschlitzt sind,461 mit
Stehkragen oder breitem Kragen, der bis auf die Schultern reichen kann, und mit einem
tiefen Ausschnitt, dessen Schnürung besonders in Deutschland das Hemd darunter zum
Vorschein brachte.46- Teils sind Könige und sozial höher stehende sowie ältere Herren mit
knie- oder bodenlangen Mänteln bekleidet, die um die Hüfte manchmal gegürtet sind. Als
Kopfbedeckungen tragen die Männer bevorzugt Hüte und Kappen: Runde Kappen,
breitkrempige Hüte oder Spitzhüte, die alle mit Federschmuck verziert sein können. Der
Schapel mit einer oder mehreren Federn ist allerdings den jungen Männern Vorbehalten,
die den Reif meist auf ihrem schulterlangen, lockigen Haar tragen. Die eng anliegenden
Beinlinge wurden altersunabhängig angezogen. Eine Ausnahme bildet die Pilger, Narren
und Hirten charakterisierende Kleidung. So tragen Pilger den kennzeichnenden Hut mit
hoch aufgeschlagener Krempe, an der ein Pilgerzeichen angebracht ist, eine Gugel, einen
halblangen Pilgermantel und einen Pilgerstab mit rundem Knauf (Abb. 45f.).463 Narren
sind besonders durch die Attribute der Schellengugel mit Eselsohren sowie der Schellen
auf der gezaddelten Kleidung und der Keule als Zeichen der Selbstverliebtheit gekenn-
460 Vgl. hierzu auch Franke 2010, S. 49f. und 58f.; ZlTZLSPERGER 2010, S. 7f.; ZlTZLSPERGER 2006,
S. 37f.; Kania 2010, S. 133; Tewes 2009, S. 33; Zander-Seidel 1993, S. 176-188; Zander-Seidel
1988, S. 59; HUNDSBICHLER 31986, S. 232 und 248-253; JARITZ 1993, S. 8-31; Frieling 2005, S. 324;
VAVRA 1980, S. 217; Vavra 1991, Sp. 1198; RAUDSZUS 1985, S. 183f.; Bulst, 1993, S. 32-46; SiMON-
MuSCHEID 2010, S. 91—115 (mit Literatur zu den Kleiderordnungen des 14. und 15. Jahrhunderts).
461 Die Schlitze der Ärmel befanden sich zuerst an den Oberarmen, ab der Mitte des 15. Jahrhunderts ver¬
liefen sie vom Ellbogen bis zur Fland und waren meist verschnürt: BOEHN 1925, S. 227f.; LüSCHEK
52005, S. 422 und 436; THIEL 1960, S. 110; NlENHOLDT 1938, S. 65; KOCH-MERTENS 2000, S. 161;
HUNDSBICHLER 31986, S. 243; KÜHNEL 1992, S. 14f.; PiPONNlER/MANE 1995, S. 82.
462 Zum Wams allgemein LOSCHEN 52005, S. 498—500, hier bes. S. 498; ZANDER-SEIDEL 1990, S. 195—200,
bes. S. 195; Rosenfeld 1978, S. 141; KÜHNEL 1992, S. 278f.; Steinmann 1938, S. 840; POST 1954,
S. 24; Praschl-Bichler 2011, S. 100 und Lehn ART 2005, S. 17-22.
463 Zur Pilgerkleidung siehe KÜHNEL 1992, S. 196-198; BRÜCKNER 1990, Sp. 440f.; Liebl 1993, Sp. 2150f.,
bes. Sp. 151; KANIA 2010, S. 117; HUNDSBICHLER 31986, S. 238f.; HOFMANN-REINDTEL 1993, S. 214—
224.
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