in der Zwischenkriegszeit weiter forciert, sie konnte aber nicht mehr die gleiche Wir¬
kung wie vor 1914/18 entfalten. Dass sich die geistig-politischen Kämpfe der Zeit in
Neunkirchen ungleich heftiger abspielten als in Düddingen, zeigte sich spätestens in
den Dreißigerjahren, als es zur mitunter gewaltsamen Konfrontation mit dem aufzie¬
henden Rechtsextremismus kam. Die politischen Rahmenbedingungen an der Saar, die
auch aufgrund der Abstimmungssituation wesentlich spannungsreicher waren als in Lu¬
xemburg, trugen wesentlich zur aufgeladenen Atmosphäre in Neunkirchen bei.
Die Grundkonstellation der Vorkriegszeit war spätestens 1918 obsolet geworden.
Vor 1914 blockierte das reziproke Wirkungsgeflecht aus betrieblichem Handlungsfeld,
soziokultureller Zusammensetzung der Arbeiterbevölkerungen und betrieblicher Ar¬
beiterpolitik den organisatorischen Durchbruch der sozialdemokratisch-sozialistischen
Arbeiterbewegung. Diese Grundkonstellation geriet mit dem Einschnitt des Ersten
Weltkriegs ins Winken. Trotz der technologischen Fortschritte und Rationalisierungen
der Zwischenkriegszeit blieb das betriebliche Handlungsfeld in seinen Grundprinzipi¬
en relativ konstant. Dies wurde durch die diachron angelegte und den gesamten Be¬
trachtungszeitraum umfassende Analyse der Arbeitssituation in Kapitel III zu zeigen
versucht. Allerdings wurden partielle Änderungen der Kooperationsformen und klare
Veränderungen im Fluktuationsverhalten festgestellt: Die Belegschaften waren vor dem
Ersten Weltkrieg deutlich mobiler, damit für die Arbeiterorganisationen schwerer zu
erfassen. Mit der Verstetigung der Belegschaft und der Durchsetzung zum Teil neuer,
auf qualifizierter Zusammenarbeit beruhender Kooperationsformen wurden dauerhafte
Kommunikations- und Kooperationsnetzwerke befördert. Die Wandlungen im betrieb¬
lichen Handlungsfeld verschilfen der Gruppenbildung im außerbetrieblichen Lebens-
bereich, besonders in der politisch-organisatorischen Sphäre, neue Impulse. So gesehen
begünstigte die Entwicklung die dauerhafte politische und gewerkschaftliche Anbin¬
dung. Mit Blick auf die Zusammensetzung und Herkunft der Arbeiter gibt es ebenfalls
klare Kontinuitätslinien: Das Neunkircher Eisenwerk rekrutierte seine Arbeiterschaft
weiterhin aus dem agrarischen Umland, während in Düdelingen, nach dem Exodus vie¬
ler ausländischer Arbeitskräfte, mit der Erholung der Wirtschaft wieder die Diversifi¬
zierung der Arbeiterpopulation einsetzte. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen,
dass die städtische Autoreproduktion der Arbeiterschaften gegenüber der Vorkriegszeit
gewachsen sein dürfte. Dies kam der politischen Betätigung und Organisation ebenfalls
entgegen.
Am schwersten wog aber, wenn man die einzelnen Faktoren isoliert, das durch den
Weltkrieg veränderte politische und gesellschaftliche Klima: Eine politische Entmün¬
digung und Bevormundung der Arbeiterschaft, wie sie vor 1914 praktiziert wurde, war
erscheint es, wenn Scuto den Düdelingern ein unpolitisches,Wesen attestiert, indem er von einer „vieil-
le aversion des Dudelangeois contre toute contagion politique“ spricht. Siehe ebd., S. z6i. Abgesehen
von der generellen Fragwürdigkeit von solch pauschalen Bewertungen bewies die Düdelinger Arbeiter¬
schaft durchaus Affinität zu politischer Betätigung, wenngleich auf moderatere Weise als in Neunkir¬
chen, Esch oder Differdingen,
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