heraus entstand 1911 die Musikvereinigung „Fratellanza“, deren Namen eindeutig auf
die politische Stoßrichtung verweist.2’ Noch evidenter tritt dies bei der im italieni¬
schen Quartier bereits um die Jahrhundertwende gegründeten Straßenfußballmann¬
schaft „Stella Rossa“ zu Tage.2’* Auch wenn es sich um keine direkten Vorfeldorganisa¬
tionen politischer Parteien handelte, konnten solche Vereinigungen doch als Substrat
formeller politischer Organisation dienen.
Das breite Vereinswesen wirkte - wie im Falle der katholischen oder vieler sozial
gemischter Vereine gezeigt - durch Absorbierung von Organisationspotenzialen oder
durch weltanschauliche Beeinflussung blockierend auf die politische und gewerkschaft¬
liche Arbeiterbewegung. In manchen Fällen konnte im Vereinswesen aber auch politi¬
sche Organisation eingeübt werden, die später, bei veränderten politischen und gesell¬
schaftlichen Rahmenbedingungen, volle Wirkung entfaltete.
Jedenfalls zeigt sich, wie unangemessen die Werturteile zeitgenössischer Arbeiter¬
funktionäre waren: Die Hüttenarbeiter konnten für ihre Organisationen nicht ge¬
wonnen werden, aber sie äußerten im alltäglichen Kampf um Freiräume ihr Selbstbe¬
wusstsein und ihre Ansprüche und erwiesen sich zudem in gewissem Rahmen auch als
organisationsfähig. Mitnichten waren sie eine ,dumpfe' oder ,lethargische“ Masse. Or¬
ganisation fand statt, ist aber bisweilen angesichts einer schwierigen oder gar fehlenden
empirischen Basis diffizil zu umreißen und zu charakterisieren. Wie hoch etwa in Neun¬
kirchen und Düdelingen der Organisationsgrad in Vereinen war, ist überhaupt nicht
einzuschätzen. Tendenziell dürfte aber Antje Fuchs beizupflichten sein, wenn sie vermu¬
tet, dass „von den Hüttenarbeitern am ehesten die ältesten, ansässigen und qualifizierten
im Vereinsleben tätig geworden“ sind, umgekehrt „ungelernte und junge Hüttenarbeiter
vergleichsweise selten in den Vereinen [zu] finden“ gewesen seien.2’9 Dies würde sich mit
den Befunden der Forschung zur institutionalisierten Arbeiterbewegung decken, deren
Rückgrat ja eben nicht die Arbeiter mit der schwierigsten sozialen Lage waren, sondern
die besser gestellten Facharbeiter. Gründe für deren höhere Organisationsfreudigkeit
ließen sich etliche nennen: höhere Ortsstabilität und damit bessere Einbindung in lo¬
kale Netzwerke, mehr materielle Ressourcen und eventuell auch mehr Freizeit oder ein
höherer Bildungsgrad.257 260
257 Vgl. Caldognetto 2009a, S. 110 f.
2,8 Vgl. Blau 2007a, S. 183.
259 Fuchs 1993, S. 103 h
260 Vgl. dazu öreuilly 1984.
457