aber auch die etwas weiter entfernten Dörfer Stennweiler, Bechhofen und Rohrbach un¬
ter den Herkunftsorten der Kreditempfänger. 68 Die betriebliche Einflussnahme reichte
nicht nur über die Werks-, sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus. Als Kreditemp¬
fänger tauchen zwei Puddlermeister, drei Puddler, vier Schweißer, ein Walzendreher, ein
Magazinarbeiter, ein Platzknecht, ein Tagelöhner, ein Coakszieher, ein Aufgeber sowie
vier Hüttenarbeiter ohne nähere Spezifizierung auf. Daneben wurde noch die Frau eines
Hammerschmieds genannt. Es zeigt sich also, dass keineswegs nur die gelernten oder
besser angelernten, das heißt in der Werkshierarchie besser gestellten Arbeiter Kredite
empfingen. Wie die am 24. Juli 1863 an den Tagelöhner Johannes Schiel aus Rohrbach
ausgestellte Obligation zeigt, zählten ebenso wenig nur die klassischen Stammarbeiter
zu den Schuldnern.769 Alles in allem illustriert die Kreditpolitik des Neunkircher Eisen¬
werks in exzellenter Weise, wie die unternehmerische Personalpolitik über den engeren
Rahmen des Betriebes hinausgriff und ein oftmals langfristiges Abhängigkeitsverhältnis
begründete. Zwar handelt es sich bei dem hiervorgestellten Quellenkorpus nur um eine
überschaubare Menge von 20 Fällen. Da aber zwischen den dokumentierten Obliga¬
tionsvorgängen zum Teil sehr lange Zeiträume lagen, ist es wahrscheinlich, dass noch
wesentlich mehr Darlehensvergaben vollzogen wurden, die aber aufgrund fehlender
Überlieferung nicht mehr bezeugt werden können.
Die über die Rolle des reinen Arbeitgebers hinausgehenden Ambitionen der Hüt¬
tenunternehmer wurden in der Regel schon in den Fabrikordnungen und in ähnlichen
werksoffiziellen Dokumenten unmissverständlich formuliert. Die wenigstens indirekte
Sanktionsgewalt der Unternehmer außerhalb ihres Betriebs basierte dabei im Wesentli¬
chen auf dem Prinzip des „freien Arbeitsvertrages“, das im Saarrevier wie in Luxemburg
vorherrschte und die industriellen Beziehungen entscheidend präfigurierte: Der Arbeit¬
geber setzte weitgehend autonom die Bedingungen der Zusammenarbeit, welche von
den Arbeitern im Sinne eines Arbeitsvertrags akzeptiert oder abgelehnt werden konn¬
ten. Zwar waren die Betriebsherren nicht direkt berechtigt, zivilrechtliche Strafen gegen
ihre Beschäftigten aufgrund irgendwelcher Verhaltensweisen im Privatbereich zu ver¬
hängen; da ihnen aber die unumstrittene Hoheit über das Arbeitsverhältnis respektive
über dessen Kündigung zukam, waren sie de facto in der Position, auch jenseits der Fa¬
brikmauern Verhaltensrichtlinien verbindlich zu diktieren. 0 So thematisierte Stumm
in zahlreichen Zirkularen die private Führung seiner Arbeiter, etwa am 15. August 1887:
68 Vermutlich handelt es sich um eine Ortschaft in der Nähe von St. Ingbert.
”69 Siehe StA Nk, Dep. Saarstahl AG, 357-1-2-1840-46, Nr. 331.
0 Vgl. zu Preußen beziehungsweise zum Deutschen Reich Flohr 1981, S. 19 ff. Wie in diesem Ka¬
pitel noch zu zeigen sein wird, nahm die Düdelinger Fabrikordnung immer wieder Bezug auf den au¬
ßerbetrieblichen Bereich: Das Prinzip des „freien Arbeitsvertrags“ bestimmte auch in Luxemburg die
industriellen Beziehungen und gestattete es dem Unternehmer, auch jenseits der Fabriktore auf seine
Beschäftigten einzuwirken.
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