Arbeiter wurde gleichzeitig zu dessen Kunde: Die Abhängigkeit vom Betrieb wurde auf
den privaten Bereich ausgedehnt.
In Neunkirchen gab es diesen systematisch betriebenen werkseigenen Warenverkauf
infolge der Stummschen Ablehnung lange Zeit nicht, doch auch hier konnten Arbeiter
verbilligt zu Waren des alltäglichen Bedarfs kommen. Aus einer Lohnliste des Hoch¬
ofenwerks aus dem Jahr 1913 geht hervor, dass im Januar immerhin 133 Beschäftigte (von
hier aufgeführten 361, das sind 36,8%) verbilligte Kartoffeln und 53 (15,2%) verbilligte
Kohlen bezogen.620 625 Bereits 1867 wurde eine werkseigene Speiseanstalt, von den Arbei¬
tern als,Menasch1 bezeichnet, eingerichtet.621 Eine Fleischsuppe mit 180 Gramm Rind¬
fleisch, Kartoffeln und Gemüse kostete hier um die Jahrhundertwende 26 Pfennige, ein
Stück Brot fünf Pfennige, eine Tasse Kaffee zwei Pfennige ohne und drei Pfennige mit
Zucker. In den Sommermonaten wurde außerdem kostenlos Mineralwasser für ,Hitze-
arbeiter“ ausgeschenkt.622 Ein Jahr später, 1868, wurde der „Neunkircher Consumverein
eG“ ins Leben gerufen, der laut Philipp W. Fabry „zahlreiche Hüttenarbeiter zu seinen
Mitgliedern“ zählte. Der Hüttendirektor, also Stumm, habe dem Verein vorgestanden.
Es ist nicht ganz klar, ob der Konsumverein offiziell eine Werkseinrichtung war; in jedem
Falle aber wurde er von der Hüttendirektion kontrolliert und ist daher dem sozialpoli¬
tischen Kanon der Hütte zuzurechnen.62 ’ Ein systematischer Warenverkauf im Rahmen
eines Ökonomats wurde in Neunkirchen allerdings erst während des beziehungsweise
unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Um das Jahr 1920 wurde hier eine
,Hüttenkonsumanstalt1 gegründet, welche mehrere Verkaufsstellen auf dem Werksge¬
lände und eine weitere in der Viktoriastraße, wo sich auch das werkseigene Viktoriahos¬
pital befand, unterhielt. Die Geschäfte hatten unter anderem Brot, Wurst, Süßigkeiten
und alkoholfreie Getränke im Sortiment.62* Die Einrichtung der Hüttenkonsumanstalt
war eindeutig der allgemeinen Krisensituation und der Versorgungsprobleme in Krieg
und Nachkriegszeit geschuldet. „In dieser Zeit gingen die Unternehmen“, wie Günther
Schulz formuliert, „bis zu subsistenzwirtschaftlichen Formen sozialer Sicherung“.62'5
Beide Unternehmen entfalteten gerade während des Krieges und in der krisenhaften
Nachkriegszeit eine beachtliche Aktivität. Bereits während des Krieges, ab 1916, hatte
die ARBED Bauernhöfe aufgekauft oder angemietet, um die Ernährung ihrer Arbeiter
und Beamten sicherzustellen.626 Unter der Überschrift „Allgemeines über [das] Lebens¬
mitteldepot“ wurde am 5. September 1918, wahrscheinlich von Beauftragten der Düde-
<l2n Daten siehe Lohnliste Hochöfen NE 1913.
621 Dies scheint im Vergleich zu anderen Werken ein recht früher Zeitpunkt gewesen zu sein. Vgl. dazu
und vor allem zu den vielfältigen Motiven, eine Betriebskantine einzurichten Uhl 1012, passim.
':2 Die Daten nennt Heinz Gillenberg in einem im Neunkircher Stadtarchiv überlieferten Manuskript:
StA Nk, Dep. Saarstahl AG, 407-1-4-1873-40.
623 Vgl. Fabry 1986, S. 44 und 48.
<’2 ‘ Vgl. ebd.; zur Viktoriastraße vgl. Schlicker 2009, S. 291 f.
625 Schulz 1991, S. 164.
626 Vgl. Schmitz 1989, S. 54. Das verstärkte Engagement im Kontext des Krieges war kein Alleinstel¬
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