dafür ist der Umstand, dass andere, die gesamte Branche einende Faktoren die betriebsin¬
terne Segmentierung überlagerten, relativierten und aufhoben. Der Vtrgmann - allein
der Begriffsuggeriert im Gegensatz zu Verarbeiter ein gewisses Distinktionsbewusstsein
- sah sich in einer langen, ständisch präformierten Tradition. Der ,Bergmannsstand1 ge¬
noss seit jeher einen besonderen Ruf, der sich in einem ganzen Fundus an Symbolen und
Ritualen manifestierte. Beispielhaft sind die Bergmannstrachten oder -uniformen, die
Bergfeste mit eigenem Zeremoniell, die Bergmannsstandarten oder das eigene Liedgut zu
nennen.292 Zwar ging mit dem Bergmannsberuf seit der Liberalisierung des Bergrechts293
kein eigener Rechtsstand mehr einher, aber die überkommenen Traditionen wurden wei¬
terhin gepflegt und perpetuierten das berufsbezogene Sonderbewusstsein. In Düdelin-
gen etwa wurden alljährlich die St. Barbarafeiern abgehalten, die mit großem Zeremoni¬
ell begangen wurden. St. Barbara war die Schutzpatronin der Bergleute und ein Symbol
von einheits- und identitätsstiftender Kraft, das soziokulturelle und ethnische Grenzen
überbrücken konnte. Im Saarrevier wurden die überkommenen Bergbautraditionen, die
nicht mehr so recht in das Zeitalter beschleunigter kapitalistischer Produktion passten,
staatlich sanktioniert, indem das Bergwesen in staatlicher Hand blieb. So unterstanden
die Bergwerke rund um Neunkirchen der königlich-preußischen Bergwerksdirektion in
Saarbrücken.29“1 In anderen Industrierevieren wurde der Bergbau in den i86oern liberali¬
siert, aber die Traditionen wirkten auch dort fort.
Die Hüttenarbeiterschaft war demgegenüber, wenigstens in berufssoziologischer
Sicht, „eine Kreation aus dem Nichts heraus“,295 296 gespeist aus sehr heterogenen Quellen
und sich differenzierend in eine Vielzahl von Subkategorien. Daran änderte auch der
Versuch nichts, bergmännisches Brauchtum auf die Hüttenarbeiterschaft zu applizie¬
ren. Analog zu den Bergfesten wurden nicht nur im Saarrevier „Hüttenfeste“196 gefeiert,
ferner kursierten auch unter den Hüttenarbeitern Uniformen, Standarten und ähnliche
Symbolik. Gerade für Neunkirchen ist zudem die Orientierung der unternehmerischen
Arbeiterpolitik am Bergbau evident: Die betriebliche Sozialpolitik wurde dem Bergwe¬
sen nachempfunden. Am deutlichsten wird dies in den Kranken- und sonstigen Versi¬
cherungskassen, die in Knappschaften - der Terminus ist bergmännischen Ursprungs
- zusammengefasst waren. Auch in der Wohnungsbaupolitik orientierte man sich am
292 Zu den ständischen Traditionen der Bergleute vgl. Tenfelde 1977, S. 113-131 und 334-341; We¬
ber 1978, S. 91-96.
29' „Liberalisierung“ meint in diesem Zusammenhang nichts anderes als den Rückzug des (preußi¬
schen) Staates als bisherigem Grubeneigner aus den Bergbaubetrieben und deren Privatisierung zwi
sehen 1851 und 1865. Vgl. dazu Tenfelde 1977, S. 177-191. Im Saarrevier wurde diese Entwicklung
nicht vollzogen.
294 Vgl. Frühauf 1980, S. 168 ff.
295 Ames 1989, S. 114.
296 Leiner, Stefan: Die Inszenierung des Feierns. Die Festkultur, in: Dülmen, Richard van (Hrsg.):
Industriekultur an der Saar. Leben und Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914, München 1989,
S. 136-147, hier S. 140.
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